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Rede zur Verleihung des „Europapreises des Nordrhein-Westfälischen Handwerks“

Deutsche Seiten, 19. 6. 1996

Die Verleihung Ihres Preises, die ich wirklich sehr hoch schätze, verstehe ich als wichtige persönliche Auszeichnung, aber gleichzeitig auch als Auszeichnung dessen, was die tschechische Regierung in den letzten Jahren für die Entwicklung des Mittelstandes und dadurch für den endgültigen Schluß des Kommunismus und seiner zentral geplanten, byrokratischen Wirtschaft und für den Sieg des Marktes und des privaten Unternehmens in der Tschechischen Republik getan hat. Diese radikale und dramatische Entwicklung beruht auf dem Wechsel des Parteifunktionärs des Leninistischen Typs gegen den Schumpeters Unternehmer, und ich kann argumentieren, dab dies bei uns gelungen ist.

Die Diskussion darüber, in wie fern diese grundsätzliche Veränderung bei uns schon durchgeführt wurde, ist in diesem Moment zweifellos durch die vor kurzem stattgefundene Parlamentenwahl und derer Ergebnisse beeinflußt, obwohl - vielleicht paradox - ein bißchen anders, als es interpretiert wird. Ich kann nicht sagen, es wäre mir nicht lieber, wäre das Wahlergebnis besser, aber aus dem Wahlresultat ziehe ich folgende drei Schlubfolgerungen:

1. Die Reformpolitik wurde in der Tschechischen Republik nicht abgelehnt. Die Hauptreformkraft - die Bürgerliche Demokratische Partei - gewann in der Wahl die meisten Stimmen, ungefähr so viele wie vor 4 Jahren. Das unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen sich transformierenden Ländern, wo die für die Transformation verantwortlichen Parteien von den Wählern ganz abgelehnt wurden.

2. Die Gegenstimmen wurden im Prinzip (und meistens) keine Stimmen gegen die Transformation als solche. Es waren Stimmen, die mit der Tatsache nicht zufrieden sind, daß ein paar Jahre nach dem Kolaps des Kommunismus der Lebensstandard bei uns noch nicht so hoch ist wie bei Ihnen in Köln am Rhein. Sie wissen, dab es nicht so schnell geht. Diese Stimmen nahmen nicht zur Kenntnis zum Beispiel die Erfahrung aus der Transformation des Ostdeutschlands, und die enormen Kosten, die dieses Transformationsmodell für den deutschen Steuerträger bedeutete. Im Vergleich dazu war die tschechische Transformation relativ sehr billig.

3. Das Wahlergebnis wurde viel mehr dadurch beeinflußt, wie weit unsere Transformation fortschritt, als dadurch, daß wir nicht genug erreichten. Der Wähler wählte schon in einem mehr oder weniger Standardsystem, nicht in der Revolutionszeit, wo es einfacher war, die Stimmen zu gewinnen.

Jetzt gehe ich zurück zu Ihren Preis und zu seiner Meinung. Ich begann meine Rede mit der Betonung der Bedeutung des Mittelstandes für die wirtschaftliche Prosperität des Landes. Es geht nicht nur darum, daß diese Unternehmer durch ihre Innovationen und Flexibilität den Markt mit neuen Erzeugnissen und Dienstleistungen bereichern und daß sie die Lücken füllen, wo die großen Firmen dazu nicht fähig sind.

Das Klein - und Mittelunternehmen ist ein Reservoir von Gelegenheiten für alle, die Unternehmungsfähigkeiten und Unternehmungsgeist haben. Ich bin überzeugt, daß gerade diese Leute die gesellschaftliche Schicht bildeten, die in der Geschichte Europas den größten Verdienst an der Entwicklung der Industrie und des Handwerks hatte, und die auch Träger des liberalen Denkens und der konservativen Traditionen in dem besten Sinne des Wortes ist.

Der kommunistischen Macht in unserem Land gelang es, diesen Mittelstand völlig zu liquidieren. Um so mehr faszinierend ist es, zu zuschauen, wie schnell dieser Stand wieder entsteht und sich entwickelt, wie die Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen den Raum bildet, der schnell von Menschen ausgefüllt wird, die in der Vergangenheit nichts ähnliches machen konnten und deshalb auch nicht machten.

Diese Entwicklung ist ohne Zweifel schneller, als erwartet wurde, schneller, als uns die jenigen sagten, die dachten, daß man Unternehmen jahrelang in Managerkursen lernen oder in Harvard Business Review studieren mub. Es ist nicht wahr. Jeder von uns ist ein "homo oeconomicus", der sehr flexibel auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse reagiert. Das hat unsere gesellschaftliche Umwälzung bestätigt.

Die Hauptveränderung des Systems wurde bei uns die von der schnellen und radikalen Privatisierung verursacht, die den Raum für die Leute öffnete, die den Mut hatten, die Gelegenheit zu ergreifen und mit dem Unternehmen zu beginnen.

Neben der Privatisierung hatte und hat die Schlüsselbedeutung die liberale wirtschaftliche Politik der tschechischen Regierung, die auf die Beseitigung der Hindernisse für freies Unternehmen orientiert wurde, die auf Liberalisierung und Deregulierung beruhte, und die den Markt öffnete - sowohl den einheimischen als auch den ausländischen. Die Liberalisierung der Preise und des Aussenhandels, die Einführung der Konvertibilität der Krone, die maximale Einschränkung verschiedener Interventionen des Staates, die Bemühung um die Qualität des Marktes (durch die Einschränkung der Pflichtmitgliedschaft in verschiedensten Angestellten- und Arbeitsgeberorganisationen und Kammern), die senkende Rate der Verteilung über das Staatsbudget, die Verringerungen von Steuern usw., das waren die Grundmaßnahmen, die wir in den letzten Jahren trafen.

Wir haben auch einige Programme der Finanzunterstützung für beginnende kleine und Mittelunternehmer, wir haben staatliche Haftung bei Krediten, wir haben Dotationen der Zinsen, wir haben Beratungsaktivitäten, aber diese Formen der Unterstützung von Unternehmen halten wir für Aktivitäten „am Rande“. Die Hauptsache ist die Liberalisierung des Unternehmungsmillieus und die makroökonomische Stabilität - gemessen durch die 66 Monaten andauernde Stabilität des Währungskurses, durch die Inflationsrate bei 8,5%, durch das ausgeglichene Staatsbudget.

Diese Politik brachte Erfolg, der sich in der Form eines relativ schnellen Wachstums zeigt (ungefähr von 5% jährlich). Eine markante Transformationssenkung der Produktion großer Betriebe, die vor ein paar Jahren ihre ehemaligen Märkte verloren, wurde zum hohen Maß (in Produktionsniveau und in Beschäftigungsniveau) durch schnelle Entwicklung des Dienstleistungensektors kompensiert, aber auch durch die Entwicklung kleiner und mittlerer Industrie-, Bau- und landwirtschaftlicher Unternehmen. Gerade darin ist der außerordentliche Verdienst der unternehmerischen Sphäre und des Mittelstandes zu sehen. Nur dank dessen vermieden wir die ökonomische Unstabilität und hohe Arbeitslosigkeit, welche die anderen postkommunistischen Länder betroffen haben.

Für die gesunde Entwicklung des Unternehmens ist die Existenz des Marktes notwendig, und es ist offensichtlich - je größer der Markt, desto besser. Deswegen schätzen wir - glaube ich alle - den einheitlichen europäischen Markt, der einen mächtigen Impuls für den freien Handel darstelllt. Unsere gemeinsame europäische Aufgabe ist Schaffung dieses freien Marktes, und ich glaube, daß es uns allen eben darum geht. Aus den Treffen mit vielen von Ihnen weiß ich aber, daß Sie diesen Prozeß nicht nur mit Hoffnung, aber auch manchmal mit bestimmten Sorgen abwarten.

Die Marktöffnung ist zweifellos eine wohltuende Sache, die den Produzenten hilft, die aber hilft auch uns, den Verbrauchern. Etwas anderes ist aber die heutige Regelvereinigung auf dem europäischen Markt. Eine positive Sache ist die gegenseitige Akzeptierung der Güter, aber nicht die Komplikation dieser Akzeptierung. Positiv ist die Harmonisierung der Bedingungen auf dem Niveau der minimalen - nicht der maximalen Standarts. Positiv ist das Minimum und nicht das Maximum der Regulation. Die Harmonisierung der Unternehmungsbedingungen und die Standardisierung der Produkten darf nicht auf Kosten der Unternehmungsfreiheit gehen und darf nicht die einen Produzenten im Vergleich mit den anderen diskriminieren. Ich kenne Ihre Bemerkungen und teile diese mit - daß eben die Harmonisierung und Standardisierung ein Vorteil für "big busines" bedeuten, und nicht für "small business".

Die Güter und Dienstleistungen haben nämlich nicht nur ihren universalen, sondern auch ihren nationalen Ausmaß, was für die handwerkliche Produktion noch mehr gilt, als für die einfach und gut unifizierende und standardisierende Großproduktion. Deshalb sollten sich meiner Meinung nach die Prozesse der Harmonisierung und Standardisierung auf die Gebiete beschränken, wo es wirklich im Interesse des Verbrauchers ist, und nicht des einen oder des anderen Produzenten. Kleine und mittlere Hersteller gewinnen auf dem Markt über großen Erzeugern gerade durch die Manigfaltigkeit ihrer Produktion und auch durch die nationale Spezifik.

Wir kennen das auch von einheimischen Märkten. In dem Ruf nach dem Verbraucherschutz klingen oft falsche Töne. Politiker, Gesetzgeber und staatliche Angestellten verstehen oft den Verbraucherschutz als Politik der Regulierung und Reglementierung der Hersteller, aber der wirkliche Verbraucherschutz besteht im Schutz der Konkurrenz und der Freiheit des Marktes.

Wünschen wir auch deshalb, daß die Integrationsbemühungen diese entsprechende Richtung gehen, und daß der große europäische Markt dem Aufschwung des Unternehmens und dem Aufblühen der Produktion und des Handwerks dient. Die Kölner "Handwerksmesse" trägt dazu bei, und ich bin froh, daß ich daran teilnehmen kann.

Ich glaube, daß die Tschechische Republik ihren Transformationsprozeß schnell fortsetzen wird und daß sie bald zum guten Partner, aber auch zum Konkurrenten für Sie alle wird.

Ich danke noch einmal für Ihren Preis, den ich wirklich hoch schätze, und für die Gelegenheit, hier, vor Ihnen mit meinen Überlegungen auftreten zu dürfen.

Václav Klaus, Köln am Rhein, 19. Juni 1996

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