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Sorge um Freiheit

Deutsche Seiten, 21. 8. 2006

Das Thema des heutigen Nachmittags scheint mir zu katastrophisch. Die Worte „Sorge um Existenz, um Arbeitsplatz, um Ressourcen“ signalisieren die Existenz ernsthafter Probleme. Jeder der eingeladenen Redner, jeder von uns, sollte wahrscheinlich alle möglichen und unmöglichen katastrophischen Prognosen präsentieren, um die anstehenden Risiken dramatisch vorzustellen. Und er sollte auch sich selbst vorstellen als jemand, der weiter sieht als die anderen.

Das werde ich nicht machen. Vor 15 Jahren habe ich ein Buch unter dem Titel „Ich mag keine katastrophischen Szenarios“ veröffentlicht. Das Buch war vor allem eine Polemik über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Transformation vom Kommunismus zur freien Gesellschaft und Marktwirtschaft, konzeptuell war es aber sehr ähnlich.

Am Anfang möchte ich ganz klar sagen, dass ich keine solche „Sorge“ fühle, dass ich keine Angst vor der Zukunft habe, dass ich sogar überzeugt bin, dass es dafür keinen Grund gibt. Der aktivistische Nichtglaube an die Zukunft ist eine populistische Position von denen, die sich die katastrophischen Szenarios zum Beruf gemacht haben. Zuerst konstruieren sie ein Problem und dann bieten uns dazu ihre erlösenden Lösungen. Diese Lösungen sind immer etatistisch und die menschliche Freiheit beschränkend. Damit sollte man nicht einverstanden sein.

Das Problem sehe ich schon im Worte „Sorge“. Wessen „Sorge“ ist das? Der Individuen? Der gewöhnlichen Leute? Der Auserwählten, die weiter sehen als wir anderen? Der ganzen Gesellschaft? Nichts davon ist meiner Meinung nach begründet.

Als erste wird die „Sorge um Existenz“ genannt. Was meinen die Autoren mit dieser Formulierung? Haben sie wirklich Sorge um ihre eigene Existenz? Oder um die Existenz ihres Landes? Europas? Der Menschheit? Worin sehen sie die Bedrohung ihrer Existenz? Ich bin überzeugt, dass der Mensch in seiner Existenz nur von der Absenz der Freiheit bedroht wird. Und deshalb frage ich: haben wir gerade jetzt – nach dem Ende des 20. Jahrhunderts mit seinem Faschismus und Kommunismus – einen Grund dafür, eine bedeutende Bedrohung unserer Freiheit zu erwarten?

Das ist eine seriöse Frage. Die totalitären Bewegungen der Vergangenheit gehören der Vergangenheit. Ich sehe keine Gefahr der Rückkehr von Faschismus oder Kommunismus. Ich sehe aber zwei andere Gefahren, von denen die eine überschätzt und die andere unterschätzt wird.

Die „überschätzte“ Gefahr ist meiner Meinung nach die Gefahr des Islamismus und der damit verbundene angebliche „Streit der Zivilisationen“. Diesen Streit sehe ich nicht. Ich sehe den Streit des Islamismus mit den Modernisierungsprozessen und mit den Auswirkungen der unaufhaltbar fortschreitenden Globalisierung der heutigen Welt. Ich sehe den Streit der aggressiven Version dieser religiösen Ideologie mit dem von außen implantierten Wertesystem der westlichen Welt, den die islamischen Länder nicht bereit sind, spontan anzunehmen. Die sichtbarste Begleiterscheinung dieses Streites – der islamistische Terrorismus, der ohne Zweifel verbrecherisch, unentschuldigbar und unakzeptabel ist - ist und bleibt ein Verbrechen, das die westliche Öffentlichkeit schockiert und beunruhigt, das aber die Existenz dieser Gesellschaft nicht wirklich bedrohen kann.

Die heutige Probleme, die in Europa in diesem Zusammenhang existieren, haben wir selbst gemacht. Auf der einen Seite haben wir die falsche Doktrin des Multikulturalismus angenommen. Auf der anderen Seite haben wir großzügigen Sozialsysteme eingeführt, die die Bereitschaft der Europäer, weniger attraktive und qualifizierte Arbeiten und Berufe auszuüben, radikal eingeschränkt haben. Beides führt zu massiver Immigration, die die so entstandene Lücke im Arbeitsmarkt zu schließen hilft.

Die unterschätzte Gefahr ist die Postdemokratie und die damit verbundene Einschränkung der menschlichen Freiheit, die die – heute in Europa dominierende – Weltanschauung, die ich Europäismus nenne, mit sich bringt. Europeismus zerstört den Staat als die unersetzliche Basis der politischen Demokratie und schafft postdemokratische, bürokratische Strukturen, die unsere Leben mehr und mehr vorbestimmen und begrenzen.

Über diese Themen sollten wir ernst und ohne aprioristische Vorurteile (im positiven sowie im negativen Sinne des Wortes) reden. Diese Fragen müssen diskutiert werden und die Diskussion darf nicht von den Forderungen der politischen Korrektheit eingeschränkt werden.

Als zweite wurde die „Sorge um Arbeitsplatz“ erwähnt. Das Problem der Arbeitslosigkeit im heutigen Europa will ich keinesfalls unterschätzen oder bagatellisieren. Es ist ein wirkliches Problem mit weitgehenden gesellschaftlichen Auswirkungen. Seine Lösung braucht jedoch eine richtige Diagnose der Ursachen dieses dauerhaften europäischen Phänomenons. Diese Diagnose würde uns sicher nicht zur Verteidigung des Protektionismus gegenüber den weniger entwickelten Ländern der dritten Welt, zu einer immer stärkeren Rigidität der Arbeitslegislative, zur Aufrechterhaltung des paternalistischen Wohlfahrtstaates, zu den fast zunftartigen Prinzipien der Pflichtmitgliedschaft in verschiedenen Handels- und Wirtschafts- und allen anderen Kammern, zu komplizierten Methoden der Schließung des Marktes und der Blockierung von Wirtschaftsaktivitäten führen. Wenn wir Angst vor dem wirtschaftlichen Liberalismus haben, der für mich mit der Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre verbunden ist, dann können wir Angst um Arbeitsplatz haben. Sonst nicht.

Es bleibt „Sorge um Ressourcen“. Schon 200 Jahre geht ein Gespenst um in Europa - das Gespenst der Erschöpfung von Ressourcen, das sogar um ein halbes Jahrhundert früher zur Welt kam als das Gespenst des Kommunismus. Die katastrophischen Visionen von Malthus, die immer wieder von verschiedenen Clubs of Rome und ähnlichen aktivistischen Institutionen und Bewegungen belebt werden, sind unbegründet. Sie sind bereits mehrmals überzeugend widerlegt worden.

Wievielmal haben wir bereits alle Rohstoffressourcen erschöpft und wievielmal hat es sich gezeigt, dass uns immer mehr davon zur Verfügung steht? Wievielmal haben wir vergeblich argumentiert, dass die Ressourcen keine statische Größe sind, dass sie nicht – obwohl es die Enviromentalisten hartnäckig behaupten – fix gegeben sind, dass sie nicht erschöpfbar sind.

Der technische Fortschritt und die menschliche Invention, die zu Entdeckungen von neuen Ressourcen und zur alternativen Nutzung von alten Ressourcen führen, waren in der menschlichen Geschichte bisher immer schneller als die Nutzung von bekannten Ressourcen. Das sind aber so banale Behauptungen, dass ich mich fast schäme, sie hier – vor diesem noblen Publikum – zu präsentieren. Ich bin heute hier in Alpbach bereit die gleiche Wette anzubieten, die anfangs der 80er Jahre Julian Simon mit dem Harvard-Professor Ehrlich eingegangen hat. Die Wette war, dass es in 10 Jahren nicht weniger bekannte Ressourcen von Rohstoffen als heute geben wird (genau gesagt, er behauptete, dass die Rohstoffpreise in zehn Jahren niedriger, nicht höher, sein werden, was die Enviromentalisten prophezeit haben). Auch in diesem Falle bin ich überzeugt, dass eines reicht: das System des freien Marktes, des Privateigentums und der unregulierten Preise zu haben und wirken zu lassen. Das gesellschaftliche System mit diesen Attributen wird im Stande sein, den langfristigen optimalen und rationalen Verbrauch von Ressourcen zu organisieren, der nicht zu ihrer Erschöpfung führen wird.

Haben wir keine Angst von optimistischen Szenarios! Bemühen wir uns um Freiheit und Demokratie, die uns garantieren werden, dass es möglich sein wird, unsere Ansichten öffentlich bekannt zu geben und die darauf basierenden Massnahmen durchzusetzen.

Beilage:

Nach der Zeitschrift The Economist (vom 24.Juni 2006) würden die Erdölvorräte beim heutigen Umfang der Schöpfung in Saudi Arabien für 66, in Iran für 93, in Irak und Kuweit für mehr als 100 Jahren, in den Vereinten Arabischen Emiraten für 97, in Venezuela für 73 usw. ausreichen. Viel niedrigere Zahlen gelten für die USA – 12 Jahre, für Russland – 21 Jahre usw. Insgesamt für die ganze Welt würden die heute bekannten Vorräte beim heutigen Schöpfungsvolumen für 41 Jahre ausreichen. Dies ist vielmehr als es vor 30 Jahren schien.

Václav Klaus, Europäisches Forum Alpbach, 21 August, 2006

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