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Václav Klaus: Entität Mitteleuropa - Realität, Hoffnung oder nur ein Traum?

Deutsche Seiten, 12. 9. 2024

Vielen Dank für die Einladung und für die Möglichkeit wieder einmal hier in Wien zu sprechen. Ich erinnere mich sehr gut an das letztjährige Forum. Es war ein wichtiges und interessantes Treffen. Dass ich Ihre Einladung zum Forum Mitteleuropa auch diesmal angenommen habe, demonstriert – glaube ich – dass für mich etwas wie Mitteleuropa existiert. Der Titel meiner heutigen Rede: „Entität Mitteleuropa – Realität, Hoffnung oder nur ein Traum?“ zeigt jedoch, dass ich gewisse Zweifel habe.

Im letzten Jahr diskutierte ich hier das Thema der Massenmigration. Die Millionen von Migranten sind eine tragische Realität, die man sieht, die man quantifizieren kann und die sichtbare und erweisbare Folgen hat. Die Massenmigration lässt sich nicht leugnen. Manche leugnen jedoch ihre tragische und bedrohliche Folgen. Mitteleuropa ist aber etwas Anderes. Mitteleuropa ist nicht real, Mitteleuropa kann man nicht tasten, Mitteleuropa ist mehr oder weniger nur ein Gefühl.

Ich möchte sehr klar und laut sagen, dass ich das Gefühl habe, dass Mitteleuropa existiert. Ob dieses Gefühl ein ausreichender Grund für den Aufbau von „verbindenden Strukturen“ ist, wie es in der Einladung steht, das weiß ich nicht. Damit bin ich mir nicht sicher. Man sollte sehr sorgfältig zwischen der Realität und den Wünschen, Plänen und Träumen unterscheiden. Gerade dazu möchte ich hier heute ein paar Bemerkungen machen.

Zu Beginn sollte klar gesagt werden, dass es solche verbindenden Strukturen heute als „hardware“, als Institutionen, nicht gibt. Alles ist in der Welt der Gefühle und Ideen. Die einzige existierende Institution auf dem mitteleuropäischen Territorium, die diese Strukturen hat, ist die Visegrád-Gruppe. Sie wirklich existiert. Ich habe mehrmals an ihren Veranstaltungen teilgenommen. Die Gruppierung der vier ex-kommunistischen mitteleuropäischen Staaten repräsentiert aber Mitteleuropa als Ganzes bestimmt nicht.

Die Visegrád-Gruppe entstand nach dem Fall des Kommunismus, als diese Länder das Gefühl hatten, dass sie zwischen dem Westen und Osten, zwischen Deutschland und Russland, verloren sind (und dazu sind sie zu klein und unbedeutend). Ursprünglich war es ein Versuch eine Mitteleuropäische Freihandelszone zu schaffen. Wir haben damals die CEFTA gegründet.

Die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Mitteleuropa haben wir für absolut fundamental gehalten. Unsere früheren Märkte im Osten haben wir praktisch über Nacht verloren und der damalige westeuropäische Protektionismus, der Angriff auf unser nicht existierendes Dumping, war für uns fast tödlich. Die politischen Ambitionen einiger utopisch denkender Politiker aus diesen Ländern, die daraus eine Brücke zwischen Ost und West machen wollten, wurden von Politikern wie ich nie ernst genommen.

Es geht bestimmt nicht nur um die wirtschaftliche Dimension. Mitteleuropa hat auch ihre historische und kulturelle Seite. Geographisch, kulturell und historisch gehört zu Mitteleuropa nicht nur Wien, aber auch z.B. Dresden, Wroclaw (Breslau), Budapest, München, Ljubljana (Laibach), Trieste, Milano und viele anderen Städte und Regionen.

Als Ministerpräsident und Staatspräsident der Tschechischen Republik habe ich mich von Anfang an bemüht, andere mitteleuropäische Länder in die Visegrád Gruppe hineinzubringen. Leider war das mangelnde Interesse seitens der Politiker sehr markant – sowohl von innen, als auch von außen. Mit Slowenien ist es mir fast gelungen, aber nach dem Tod von Präsidenten Drnovšek war alles sehr schnell vorbei.

Jede Entität, die als Subjekt, als eine Entität mit Benehmen, funktionieren will, braucht gemeinsame Interessen. Können wir diese in Mitteleuropa finden? Hat Mitteleuropa gemeinsame Interessen? Ich wollte nicht permanent die Karte eines Pessimisten spielen, ich habe aber Angst, dass es in der heutigen europäischen Realität keine gemeinsamen mitteleuropäischen Interessen gibt. Sie waren nie explizit formuliert. Selbst die EU würde uns das nicht erlauben. Wir haben das im Jahr 2015 probiert, als die Länder der Visegrád-Gruppe zum ersten Mal ihre Position zur Massenmigration laut ausgedrückt haben. Die EU-Reaktionen waren sehr unfreundlich.

Es ist offensichtlich, dass man ohne die Existenz von gemeinsamen Interessen keine sinnvollen institutionellen Strukturen bilden kann. Wie ich schon sagte, gibt es in Mitteleuropa nur Gefühle, Wünsche und Ambitionen. Und es gibt auch eine gewisse Nostalgie, die mit der Vergangenheit verbunden ist. Diese Vergangenheit hat aber keiner der Lebenden erlebt. Auch deshalb genügt diese Nostalgie nicht. Die Historie, und für einige sogar unerwünschte und ungewollte Historie, schafft keine solide Basis für die Bildung von Institutionen.

Trotzdem sehe ich einen Ausweg. Oder einen Weg? Wenn wir keine gemeinsamen Interessen haben, haben wir mindestens gemeinsame Bedrohungen? Ich erlaube mir zu glauben, dass eine Entität auch durch gemeinsame Bedrohungen entstehen kann!

Haben wir heute im Mitteleuropa eine gemeinsame Bedrohung oder vielleicht Bedrohungen, die uns näher zusammenbringen könnten? Die Voraussetzung für meine positive Antwort ist eine sorgfältige Unterscheidung zwischen falschen (nur angeblichen) und wirklichen (also authentischen) Bedrohungen. Falsche Bedrohungen, die die Menschen nicht authentisch fühlen und die ihnen nur von Politikern und Medien vorgeschoben werden, sind keine Hilfe. Sie können diese Rolle nicht erfüllen.  

Wie ist es in der Realität? In allen mitteleuropäischen Staaten wird heute viel über eine Bedrohung gesprochen, die viele als hoch akut und authentisch bezeichnen. Es ist eine angebliche Bedrohung, die aus dem Osten kommt, von Putin, vom russischen Bären. Heute ist es politisch korrekt, gerade das zu behaupten.

Diese Bedrohung finde ich – im Gegensatz zur tschechischen Regierung und Massenmedien – nicht so heiß. Ich bin fest überzeugt, dass Putin keine Ambitionen hat, Mitteleuropa anzugreifen. Er hat genug anderen Sorgen, den ukrainischen Krieg und die innenpolitischen Schwierigkeiten zu bewältigen. Diese falsche Drohung kann uns nicht vereinigen. Wir brauchen eine wirkliche Bedrohung.

Eine solche Bedrohung sehe ich. Als hoch aktuell, und jeden Tag aktueller, finde ich die Bedrohung, die von der heutigen Ideologie des Progressivismus und Globalismus und dem damit verbundenen Angriff auf den Nationalstaat kommt.

Die kleinen mitteleuropäischen Staaten, und wenn es möglich ist oder wird, gemeinsam, sollten dieses Thema, diese Fahne, hochhalten und damit ihre authentischen Interessen suchen, formulieren und verteidigen. Das kann uns die fehlende Argumente geben.

Wir sollten als Grundvoraussetzung wissen, dass der Progressivismus und der Globalismus aus dem Westen kommen, nicht von Putin, auch nicht aus dem Süden oder aus dem Osten. Diese Ismen, diese Ideologien sind „Made in Westeuropa und Amerika“. Sie sind so gefährlich, dass sie uns, das heißt Mitteleuropa und Europa, zerstören können.[1]

Der Kampf gegen diese Bedrohung erfordert eine radikale Veränderung unseres Denkens und vor allem eine Rückkehr zu den alten mitteleuropäischen Denkweisen und Weltanschauungen.

Dazu brauchen wir keine mitteleuropäischen Institutionen. Dazu brauchen wir Vernunft und common sense. Dazu brauchen wir vernünftige Politiker.  Dazu brauchen wir Politik, nicht nur Straßenproteste und Demonstrationen. Im Jahr 2022 sagte ich auf einem internationalen Forum im polnischen Karpacz zum Thema Mitteleuropa folgendes: „Our cooperation should stay on an ad hoc basis“. Diese produktive Zusammenarbeit, diese Kooperation sollten wir aktiv und politisch betreiben. Um dies zu erreichen, wäre aber eine wirkliche Revolution nötig, die ich mich nicht – in der vorstellbaren Zukunft – vorstellen.

Václav Klaus, Forum Mitteleuropa, Der Liberale Klub, Wien, der 12. September 2024


[1] Auch der heutige tragische Krieg in der Ukraine ist die Folge hegemonialer Ambitionen, die mit dem Progressivismus und Globalismus verbunden sind.

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