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Deutsche Seiten, 29. 1. 2019
Vielen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit hier heute wieder sprechen zu dürfen. In den letzten Jahren wurde ich am Wiener Kongress immer gebeten, über die non-ökonomischen Themen zu reden – über die Migration, über die Europäische Union, über die Ukraine, etc., diesmal kann ich in meinem Fach, in der Volkswirtschaftslehre, bleiben. Dort befinden sich – hoffentlich – meine komparativen Vorteile (my comparative advantages).
Als Aufgabenstellung habe ich von David Ungar-Klein das Thema „die Zukunft der europäischen Wirtschaft“ bekommen. Leider. Dafür bin ich nicht gut gebildet und vorbereitet. Ein kluges Sprichwort sagt: es ist schwierig zu prophezeien, besonders hinsichtlich der Zukunft. Wir, die Volkswirte, haben keine “Kristallkugel“ (oder vielleicht Wahrsagerkugel) zur Hand. Wir können uns bemühen die heutigen Tendenzen und Trends zu entdecken, wir können über ihre Fortsetzung (oder Nichtfortsetzung) spekulieren, wir können über ihre Ursachen und Gründe nachdenken, aber die Zukunft kennen wir nicht. Trotzdem muss ich sagen, dass meine implizite Kristallkugel die Zukunft der europäischen Wirtschaft als sehr problematisch sieht.
Vor ein paar Wochen habe ich einen amerikanischen Film gesehen und dort fragte jemand die Wahrsagerin, was für eine Zukunft erwarte ihn. Sie antwortete ihm sehr treffend: Sie haben keine Zukunft, Ihre Zukunft ist schon gezählt. Mit solcher politisch unkorrekten Parabel könnte ich meine heutige Rede über die ökonomische Zukunft Europas entweder anfangen, oder beenden. Dieser Pessimismus bedeutet aber nicht, dass ich – kurzfristig oder mittelfristig – eine dramatische Veränderung der heutigen Tendenzen oder eine tiefe Wirtschaftskrise erwarte. Die Fortsetzung der heutigen Tendenzen, das heißt das langsame und an „künstliche Ernährung des Quantitative Easings“ der EZB und an Staatsverschuldungen basierte Wirtschaftswachstum finde ich alarmierend genug.
Trotz aller geldpolitischen und fiskalpolitischen Maßnahmen der letzten Ära ist Europa, besonders die Eurozone, die langsamste Wirtschaftseinheit der heutigen Welt. Andere Wirtschaftsgebiete wachsen viel schneller. Unsere ehemalige Position in der Weltwirtschaft verlieren wir schnell. Diese Dynamik, nicht die statische Momentaufnahme, sollte für uns das klare Warnzeichen sein. Keine Rhetorik der europäischen politischen Eliten kann es leugnen.
Wie ich sagte, meine Aufgabe war über „Europas wirtschaftliche Zukunft in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung“ zu sprechen. Diese zwei Worte – Digitalisierung und Globalisierung – sind für mich nicht die wichtigste und relevanteste Charakteristik der gegenwärtigen europäischen Situation. In meinem Brief an David Ungar-Klein habe ich ihm geschrieben, dass ich nicht das Gefühl habe, in Zeiten „der Digitalisierung und Globalisierung“ zu leben.
Die Digitalisierung ist nur ein modischer Begriff. Die Ökonomen haben nicht nur keine Korrelation, sondern auch keine Kausalität zwischen der Digitalisierung und dem Wirtschaftswachstum gefunden. Ich bin sogar auf der Seite der Ökonomen, die sagen, dass die übermäßigen, disproportional hohen Investitionen in die Informationstechnologien die wahrscheinlichste Erklärung für die sichtbare Verlangsamung des Wirtschaftswachstums der letzten Ära darstellen. Es handelt sich um ein gutes Beispiel der irrationalen Missallokation der begrenzten Ressourcen.
Der gesamte Beitrag der modernen Informationstechnologien ist bestimmt positiv, der Beitrag der neuen und neuen Versionen der IT ist im Gegenteil sehr klein. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt positiv ist. Die Kosten sind viel höher. Das wissen alle Businessleute. Der Unterschied zwischen gesamten und marginalen Effekten ist die Basis des Denkens der Volkswirte. Das hat uns die Österreichische Schule der Volkswirtschaftslehre schon im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gut erklärt.
Man muss auch die Leere der Debatte über die Globalisierung erwähnen. Eine Sache ist die schon lange Zeit existierte Internationalisierung der ökonomischen Aktivitäten, die andere ist die damit verbundene bürokratisch organisierte Steuerung des Wirtschaftslebens. Die Globalisierung geht zusammen mit dem postdemokratischen Globalismus (global goverance), der zur De-Demokratisierung der Gesellschaft führt. Man sollte auch nicht vergessen, dass die massive Internationalisierung der ökonomischen Aktivitäten nur für die flexiblen, anpassungsfähigen Volkswirtschaften vorteilhaft ist. Nicht für die rigide Wirtschaft. Nur die naiven Menschen denken, dass die europäische Wirtschaft nicht rigide ist.
Wie ich sagte, wir leben nicht in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung. Wir leben
– in Zeiten der überregulierten Wirtschaft (und Gesellschaft);
– in Zeiten der enormen Politisierung der Wirtschaft (und der Wirtschaftsentscheidungen);
– in Zeiten des Sieges der grünen Ideologie über die ökonomische Rationalität;
– in Zeiten der kontinuierlichen Erhöhungen verschiedener verpflichtend eingeführten nichtökonomischen Standards, die die Wirtschaft belasten und konkurrenzunfähig machen;
– in Zeiten der fehlkonstruierten europäischen Währung;
– in Zeiten der erstickenden politischen Korrektheit, die die freie Diskussion in der Gesellschaft bremst und
– in Zeiten der erhöhten Manipulation der Menschen.
Das alles belastet die europäische Wirtschaft und wird die heutigen ungünstigen Tendenzen weiter prolongieren.
Die problematischste Entwicklung sehe ich in der Politisierung der Wirtschaft, in der Leugnung der Wichtigkeit und der Unentbehrlichkeit der ökonomischen Kalkulation. Wir sind wieder bei der Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre, bei Mises und Hayek.
Die Menschen in Mittel- und Osteuropa interpretieren diese Tendenzen als die Rückkehr uns leider gut bekannter Aspekte des kommunistischen Wirtschaftssystems. Vor fast drei Jahrzehnten basierte unser damaliges Programm der radikalen Liquidierung dieses Systems an Deregulierung, Liberalisierung, De-subventionierung und Entstaatlichung der Wirtschaft, anders gesagt, an Ihrer De-Politisierung. Einer von unseren damaligen Reformslogans war: die Autonomie der Wirtschaftssphäre sicherzustellen. Das haben wir in der letzten Zeit in beträchtlichem Maße wieder verloren.
Dazu gehört auch die Debatte über die Konsequenzen der „Zwangsjacke“ (straitjacket) der gemeinsamen europäischen Währung. Jede Wirtschaft, auch die europäische Wirtschaft, braucht die richtige Größe des Wechselkurses für alle Mitgliedstaaten der EU und die adäquate, das heißt, individuell konzipierte Geldpolitik. Europa braucht eine Freihandelszone, aber ohne „single currency“ und ohne die EZB-Politik der schnellen Erhöhungen der Geldmenge und der niedrigen Zinsen.
Das alles wird nicht von sich selbst kommen. Europa braucht eine Wende, eine radikale Transformation. Diese Transformation muss jemand organisieren, jemand mit der Autorität und mit starker, politischer Unterstützung. Diese Autorität braucht unbedingt die authentischen demokratischen Wurzeln haben. Eine solche Transformation muss von einzelnen Mitgliedstaaten kommen, nicht von den EU Strukturen, die diese demokratischen Wurzeln nicht haben.
Auch mit dem eventuell erfolgreichen Anfang einer solchen Transformation wird die wirkliche Wende langsam und schmerzlich sein und wird relativ lange Zeit andauern. Trotzdem müssen wir damit beginnen. Gestern war schon zu spät.
Václav Klaus, Wiener Kongress, Haus der Industrie, Wien, 28. Januar 2019
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