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Das heutige Chaos Europas, die Massenmigration und die unverantwortlichen Träume der EU-Eliten

Deutsche Seiten, 21. 4. 2017

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung. Vielen Dank für die Gelegenheit, Ihre Stadt, die sich nicht weit von unserer Grenze befindet, besuchen zu dürfen. Ich war noch nie da. Dieser Teil Deutschlands ist für mich absolut unbekannt. Die ganze Ära nach dem Fall des Kommunismus habe ich in hohen politischen Positionen verbracht und die politischen Gipfeltreffen wurden leider nie in Chemnitz veranstaltet. Noch einmal vielen Dank für diese Gelegenheit.

Das heutige Treffen – das Treffen mit den Bürgern Deutschlands, nicht mit den prominenten Politikern – ist für mich nicht das Erste. Ich wurde in der letzten Zeit relativ oft nach Deutschland zum Reden eingeladen, über die AfD, über die Massenmigration, über die durchaus negativen Erfahrungen Europas mit Euro und mit Schengen, über die falsche „Europäisierung“ Europas, über die De-Demokratisierung und De-Nationalisierung unseres Kontinents, über die Entwicklungen, die uns mehr und mehr zurück in die längst erlebte Vergangenheit führen.

Ich weiß, dass Sie hier in Chemnitz vor wichtigen Wahlen stehen. Lange Zeit hatte ich das Gefühl (und die optimistische Hoffnung), dass die diesjährigen Wahlen zum ersten Mal nach den langen Jahrzehnten endlich echte Wahlen sein werden. Dass sie den Streit über die Hauptthemen der heutigen deutschen und europäischen Gesellschaft, den Streit zwischen dem arroganten politischen Establishment und den normalen Menschen, ermöglichen werden. Ich hoffte auf Wahlen, die eine Wende und einen Ausstieg aus der Sackgasse versprechen werden, in der wir uns leider seit langer Zeit befinden.

Jetzt bin ich nicht mehr so optimistisch. Den politischen Eliten – mit Hilfe von der Schwäche der deutschen Opposition – ist es gelungen, einen Quasi-Streit zwischen Frau Merkel und Herrn Schulz zu organisieren, einen fiktiven Streit, der die heutige, nicht gute Lage Deutschlands für die weiteren Jahren sicherstellen wird.

Ich bin kein Insider, ich sehe die Situation in Deutschland nur aus dem Ausland, ich verfolge sie nicht täglich. Erlauben Sie mir trotzdem zu diesen Themen hier, heute Abend, etwas zu sagen. Was ich jetzt sagen kann, ist nur ein „Ausschnitt“ meiner Ansichten, die in meinen Texten, Reden und Büchern seriöser präsentiert sind.

Zu Hause bin ich in den Medien immer wieder gefragt, warum ich in der letzten Zeit in Deutschland so oft rede. Meine Antwort ist: Deutschland ist – aus meiner Sicht – das heutige Schlachtfeld Europas. Es ist hier in Deutschland und nicht in den kleineren Ländern Europas, wo das heutige europäische Dilemma, der heutige Konflikt über die Zukunft Europas, gelöst wird - oder auch nicht. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob die Deutschen Ihre heutige Rolle und Verantwortung in aller Breite, Tiefe und Wichtigkeit sehen und ob sie sich damit mit voller Aufmerksamkeit beschäftigen. Ob sie fähig sind, die enorme Manipulation und Indoktrinierung, die die heutigen europäischen politischen Eliten organisieren, zu entdecken.

Man kann ohne Übertreibung über einen Krieg in Europa sprechen. Die Schlachtformationen, die auf beiden Seiten auftreten, sind uns allen gut bekannt: auf der einen Seite, und das ist meine Seite, steht Freiheit, Demokratie, traditionelle Familie und das gewöhnliche menschliche Benehmen, Souveränität der europäischen Nationalstaaten, Patriotismus, Auslandsreisen und Auslandsaufenthalte statt Migration. Diese Seite ist relativ still, friedlich, höflich und zur Diskussion bereit.

Auf der anderen steht politische Korrektheit, Multikulturalismus und Humanrightismus, Feminismus, Genderismus und die Aggressivität des Homosexualismus, Massenmigration, Frau Merkel, die Herren Juncker und Schulz, unfreiwillige und unspontane Unifizierung, Zentralisierung, Harmonisierung und Standardisierung Europas, Kontinentalismus, und Kulturmarxismus der Frankfurter Schule. Diese Seite ist arrogant, aggressiv und monologisch. Leider hat sie lautere Sprachröhre und stärkere Artillerie zur Verfügung.

Diese stilisierte Beschreibung ist von mir keine absichtliche Karikatur oder Verflachung der heutigen europäischen Situation. So übersichtlich sind die Karten in Europa heute verteilt. Wir sollten nie zulassen, dass diese Klarheit und Übersichtlichkeit vernebelt werden.

Für uns, für die tschechischen und deutschen Demokraten, bleiben nur die Argumente. Die sind aber zur Zeit nicht einfach zu präsentieren. Die Debatte, die in den Medien und in der Politik stattfindet, ist nicht repräsentativ. Das freie Denken immer mehr unterdrückt wird. Ich stimme völlig mit dem Titel eines Artikels in NZZ überein: Denkverbote statt Debatte. Der Autor dieses Artikels spricht über die „Friedhofsruhe“ und über das dominierende „Moralisieren und Tabuieren“. In meiner Lebensgeschichte habe ich das schon mal erlebt. Es war in den kommunistischen Zeiten. Einige von Ihnen hier in Chemnitz haben bestimmt dieselbe Erfahrung gemacht.

Zu unserem Bedauern sehen manche Europäer die Schicksalshaftigkeit und die Dringlichkeit des heutigen historischen Momentes nicht. Sie interpretieren die Situation in Europa anders als die Menschen, die heute Abend hier sind und die der gefährliche Name Václav Klaus nicht schreckt.

Ungefähr eine Woche nach dem britischen Referendum war ich auf einer internationalen Konferenz in Griechenland. Die Teilnehmer (die typischen Konferenzleute, mehrere von ihnen die bekannten Repräsentanten des europäischen und auch deutschen Establishments) waren nervös, enttäuscht, fast erschrocken. Ihr Kartenhäuschen wurde zerstört. Der Begründer der Konferenz, die seit mehr als 40 Jahre stattfindet, hat in seiner Schlussrede ganz ernst gesagt: „die zwei heutigen Hauptfeinde Europas sind Boris Johnson und Václav Klaus“. Ich wusste nicht, dass gerade wir zwei die Komplizen in einem angeblichen Verbrechen sind. Ich bin kein Feind Europas, ich bin nur der Feind der Menschen, die die Europäische Union, die europäische Integration in der heutigen Form darstellen, verteidigen und weiter de-demokratisieren.

Man kann das europäische Thema aus vielen Ecken anschneiden. Als ein Volkswirt, habe ich lange Zeit meistens über die ökonomischen Themen gesprochen. Heute sind sie nicht mehr relevant und interessant. Die wirtschaftlichen Probleme sind größer und größer geworden, aber die traditionelle sozial-ökonomische Debatte ist in Europa passé. Die Sozialisten, die heute in allen Parteien zerstreut sind, haben die traditionelle Debatte gewonnen. Auch der Streit über die so genannte globale Erwärmung ist in Europa verstorben. Trotz der „Klimapause“ (18 Jahre gab es keine Erhöhung der globalen Temperatur) haben die Klimaalarmisten diesen Streit gewonnen.

In den letzten Jahren ist leider ein neues, viel wichtigeres Thema aufgetaucht: die durchgehende Umgestaltung der europäischen Gesellschaft, vielleicht besser gesagt, die Bedrohung der europäischen Kultur, Traditionen und Werte, und die dafür als Instrument benützte Massenmigration. Vor ein paar Wochen habe ich einen, 27 Jahre alten Essai von Umberto Eco gelesen. Schon im Jahre 1990 warnte er, dass „die Migration die ethnische Umgestaltung der europäischen Länder, die unvorstellbare Änderung der Sitten und des Benehmens, eine unaufhaltsame Hybridisierung der Menschen als Folge haben wird.“ Das waren warnende Worte, die damals niemand hören wollte.

Zu diesem Thema habe ich nicht nur Reden gehalten oder Aufsätze geschrieben. Zusammen mit meinem langfristigen Kollegen Jiří Weigl haben wir zu der heutigen Migrationskrise in Europa ein kleines Buch – mit dem Titel „Völkerwanderung“[1] – zusammengefasst. Dieses Buch steht in der heutigen Ideenschlacht völlig auf der Seite der Freiheit und nicht auf der Seite des Moralismus, des Multikulturalismus und des linken Etatismus.

Dieses kleine, kurze und ursprünglich auf Tschechisch geschriebene Buch können Sie hier – glaube ich – in der deutschen Sprache bekommen. Das Buch existiert heute schon auch auf Englisch, Französisch, Schwedisch, Russisch und Flämisch.

Die Hauptbotschaft des Buches ist klar, direkt und unmittelbar: die heutige Massenmigration, und ihre weitgehenden negativen Konsequenzen für die Zukunft der europäischen Gesellschaft, haben nicht die Migranten, sondern die europäischen Politiker – an der Spitze mit deutschen Politikern – verursacht. Gerade das muss man, besonders hier in Deutschland, laut sagen.

Ich weiß, dass dieser Satz ein politisch sehr unkorrektes Statement darstellt. Er ist in Ihrem Land unkorrekter als in meinem. Bei uns ist diese Ansicht nicht so weit von dem politischen und medialen Mainstream wie bei Ihnen.

Viele von uns wissen, dass das Problem der heutigen Zeit nicht das Mitleid, Barmherzigkeit und Solidarität, oder Gleichgültigkeit, Egoismus und die uralte Kleinbürgerei ist. Das heutige Thema ist unsere Zukunft.

Die Mehrheit der europäischen und besonders deutschen Spitzenpolitiker will es nicht akzeptieren. Mit ihrem Glauben an die durchaus wohltuenden Effekte der unbegrenzten Verschiedenheit der Menschen für eine zusammenlebende Volksgemeinschaft und mit ihrem Glauben an die vollkommen positiven und bereichernden Einwirkungen der Migranten, ihrer Ideen, ihrer Religion, ihrer Benehmensmuster haben sie die Migranten schon seit langer Zeit implizit, aber in der letzten Ära auch explizit eingeladen. Nur deshalb sind die Migranten da.

Diese Politiker glauben wahrscheinlich aufrichtig an die Ideologie des Multikulturalismus, was aber schwer zu begreifen ist. Wollen sie wirklich aus den heutigen Migranten einen neuen europäischen Mensch, einen homo bruxelarum, erschaffen? Ich habe Angst, dass es leider so ist.

Die heutige Massenmigration, die ich – glaube ich berechtigt – Völkerwanderung nenne, habe ich schon lange Zeit als Bedrohung der europäischen Zivilisation und Kultur, als Bedrohung der Freiheit und Demokratie, und nicht zuletzt als Bedrohung der europäischen Prosperität bezeichnet.

Ich habe die Massenmigration als eine gefährliche Beschädigung unseres Lebens, unserer Lebensqualität, unserer Traditionen und Gewohnheiten betrachtet. Gerade das finde ich das Wichtigste und Gefährlichste. Deshalb habe ich nie die einfache und billige Karte des Kampfes mit dem Terrorismus gespielt. Damit wollte ich sagen, dass ich das heutige Problem Europas nie auf dieses Thema reduziert habe. Ich dachte immer – und denke auch heute noch – dass die Fortsetzung der Massenmigration anderer Kulturen und Zivilisationen Europa auch ohne Terrorismus vernichten wird. Jetzt beginnt es fast für alle klar und evident zu sein – leider nicht für Ihre Bundeskanzlerin – dass die heutige Terrorismuswelle ein unvermeidlicher und unbegehbarer Bestandteil der Massenmigration ist.

Die heutige Terrorismuswelle kann – hoffentlich – auch den Menschen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten nicht befassen, ihre Augen öffnen. Die unglaublichen und schreckerregenden menschlichen Tragödien, die uns fast täglich die Medien bringen, werden zu der massiven Augenöffnung der „schweigenden Mehrheit“ der europäischen Bevölkerung beitragen. Noch einmal, hoffentlich. Sonst sehe ich keine Zukunft vor uns.

Die europäischen Eliten sehen es nicht. Es war überzeugend vor ein paar Wochen im Rom, im Moment des 60. Jahrestages der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft demonstriert. Die veröffentlichte Deklaration, die leider fast niemand gelesen hat, ist nicht zu glauben. Die führenden EU-Repräsentanten bestätigten damit erneut, dass sie von der Realität total entfernt sind. Es war eine Serie von leeren Phrasen, die uns an das ehemalige kommunistische Vokabular erinnern. In der Deklaration gibt es absolut keine Reflexion der heutigen ernsten Probleme der EU. Sie deutet keine, nicht einmal die kleinste Bereitschaft an, über die notwendigen Änderungen zu sprechen. Diesen Text muss ich als eine arrogante Verachtung an die menschliche Vernunft der Europäer betrachten. Das dürfen wir nicht akzeptieren.

Wir wissen, dass wir nicht nur Reformen, sondern eine radikale Wende brauchen. Sowas ist für die heutigen EU-Eliten absolut undenkbar. Nicht einmal eine „Perestrojka“ kommt für sie in Frage. Wozu wird es führen?  Der Kommunismus dauerte 70 Jahre. Wieviel Jahre wird die EU, das heißt die heutige Version der europäischen Integration, dauern? Wir brauchen eine Samtrevolution. Als eine Vorstufe dafür müssen Sie die Wahlen in Deutschland gewinnen.

Václav Klaus, Haus des Gastes, Chemnitz, 20. April 2017.



[1] Klaus, V., Weigl, J., Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Berlin, 2016.

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