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Brexit: Ist ein anderes Europa vorstellbar?

Deutsche Seiten, 12. 7. 2016

Mit kleinen Verbesserungen ist es nicht getan – die EU braucht einen revolutionären Umbau. Wenn ich indes die absurden Reaktionen auf das britische Referendum sehe, zweifle ich, ob das Führungspersonal in der Lage ist, etwas am Status quo zu ändern.

Ich muss gestehen, dass ich meine Notizen für diesen Text vor dem britischen Referendum vorbereitet habe. Als ich sie mir nach dem faszinierenden Ergebnis ansah, wusste ich zuerst nicht, was ich tun sollte. Doch dann kam ich sehr schnell zur Schlussfolgerung, dass sie noch immer relevant sind. Das britische Referendum bestätigte «lediglich» jenen, die es noch nicht wussten, eines: dass nicht nur ein paar exzentrische Reaktionäre, die letzten Anhänger der obsoleten Chicago-Doktrin, der österreichischen ökonomischen Schule und von Margaret Thatcher ähnliche kritische Ansichten über die gegenwärtige Version europäischer institutioneller Arrangements, die EU-Politik und die dahintersteckende Ideologie haben, sondern auch Millionen gewöhnlicher Menschen.

«Homo Bruxellarum»

Ich nehme stets die Frage ernst, die die Organisatoren als Titel ihrer Konferenz wählen. Als sie diese Worte abtippte, lächelte meine Sekretärin und meinte ironisch, dass ich meine Reden fast immer mit der Bemerkung beginne, dass die Frage falsch gestellt sei. Dieses Mal hatte ich nicht vor, das zu sagen. Diese Frage – «Ist ein anderes Europa vorstellbar?» – ist der Diskussion wert. Die Fragestellung impliziert – zumindest für mich –, dass Europa nicht nur einen kleinen Wandel braucht, sondern einen umfassenden, grundlegenden Umbau. Die britischen Wähler haben uns dieselbe Botschaft gesandt. Lassen Sie mich diesen Punkt weiter entwickeln.

Die kleinen, mehr oder weniger kosmetischen Veränderungen, die man in der EU jahrzehntelang permanent vorgenommen hat, reichen ganz offensichtlich nicht aus. Wir brauchen keine Reformen, sondern einen grundlegenden Wandel – im Fall des Kommunismus sprachen wir von einer Transformation oder einem Systemwechsel –, andernfalls kann der Wechsel nicht vollzogen werden. Alle Europäer, nicht nur die Briten, sollten dies akzeptieren und sehr laut sagen, dass wir in einer Sackgasse stecken, in der wir nicht weiter vorankommen, sondern nur zurückgehen. In dem Augenblick, als sich die Länder Mittel- und Osteuropas vor 27 Jahren des Kommunismus entledigten und zum demokratischen Teil Europas zurückkehrten, erwartete ich nicht, dass ich während meiner Lebenszeit noch eine derartige Enttäuschung über die Welt um uns erleben würde, wie ich sie jetzt fühle.

Lassen Sie uns eines klarstellen und zwei Begriffe konzeptuell voneinander trennen, wann immer wir sie verwenden: Europa und die Europäische Union. Einige Leute – vor allem Angehörige der Gattung «Homo Bruxellarum» – verwirren uns bewusst und absichtlich, indem sie sie vermengen.

Europa ist okay. Ich habe nicht den geringsten Ehrgeiz, es zu reparieren. Ich will kein anderes Europa bauen, will nicht seine geografische Lage und seine Grenzen verschieben, seine Geschichte umschreiben und verändern, seine Traditionen, Gewohnheiten, Bräuche, Verhaltensnormen, Kulturen und Religionen über Bord werfen, unsere sogenannten europäischen Werte aufgeben, die über Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelt wurden. Ich will kein neues Europa bauen und keine neue Spezies schaffen – einen europäischen Menschen, der politisch korrekt ist, multikulturell denkt und die Unterschiede zwischen den Geschlechtern leugnet. Diese Einheit namens Europa war immer vor allem eines: das Ergebnis einer spontanen Entwicklung, nicht das Projekt von irgendjemandem. So soll es auch bleiben. Ich stimme voll und ganz den österreichischen Ökonomen Hayek und Mises zu, dass die Welt durch menschliches Handeln vorangetrieben werden soll, nicht durch einen menschlichen Entwurf.

Das überehrgeizige, künstliche Konstrukt Europäische Union ist das Produkt eines fehlerhaften Designs. Nicht viele Menschen betrachten es sich ernsthaft genug. Die meisten sehen nur, was die europäische Propaganda sie sehen lassen will. Der Grossteil der Welt (und auch die Europäer) scheinen zu glauben, dass die EU Folgendes ist:

- eine den Frieden sichernde Gemeinschaft von Nationen;

- eine demokratische Ansammlung von Ländern, wo der Demos sich als Demos fühlt;

- eine zusammenhängende Einheit, die monokulturell auf europäischen Werten und Verhaltensmustern fusst;

- eine Einheit, die nur einen kleinen Teil der Entscheidungsfindung zentralisiert (nur jene Themen, die nicht auf der Ebene von einzelnen Staaten gelöst werden können);

- ein Konglomerat von Ländern, in dem alle gleich sind (in Orwells Sinn);

- eine familienartige Institution, in der die Stärkeren den Schwächeren auf bedeutsame Weise helfen;

- eine Institution, in der Widerstand gegen die offiziellen Ansichten erlaubt und möglich ist;

- eine Institution, in der es eine echte, demokratisch geformte und umgesetzte Politik gibt, etc., etc.

Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein als dieses propagandistische Schema. Die heutige Europäische Union ist etwas ganz anderes:

- Sie ist eine Einheit ohne Demos, das heisst, ohne Demokratie.

- Sie ist eine Einheit mit einer schwachen Identität. Europäer zu sein, bedeutet für viele von uns eine geografische Abgrenzung. Was unsere Identität angeht, so sind wir in erster Linie Tschechen, Italiener oder Schweizer. Und wir sind stolz darauf. Es gibt einige «europäische» Gemeinsamkeiten, aber Europa war nie ein Schmelztiegel.

- Sie ist eine Einheit, die den Begriff Subsidiarität missbraucht, um den tatsächlichen Zustand und die vorherrschende Tendenz zu kaschieren – die stetig zunehmende Zentralisierung der Entscheidungsprozesse in der EU.

- Sie ist – vor allem nach dem Vertrag von Lissabon – eine Einheit mit einem dominierenden Land, Deutschland. Dieses Land muss – wie es unlängst der deutsche «Staatsminister für Europa», Michael Roth, formulierte – seine Führungsrolle in Europa erfüllen, ob es will oder nicht.

- Sie ist eine Einheit ohne authentische, echte Solidarität.

- Sie ist eine Einheit, die beengt wird von einer nicht funktionierenden Währungsunion, die auf dem Ansatz gründet, wirtschaftlich miteinander unvereinbare Länder zusammenzubringen, etc., etc.

All dies ist hinreichend sichtbar. Jeder, der Augen hat zu sehen, hat dies beobachtet und notiert. Wir sollten uns eingestehen, dass die EU ein veraltetes Konstrukt ist. Dank der EU werden wir Zeugen eines offenkundigen Niedergangs Europas, wenn nicht sogar seines Todes (im Vergleich zum Rest der Welt).

Dieser Niedergang wurde nicht von islamistischen Terroristen verursacht, von der kürzlich losgetretenen Massenmigration, von einem rapide wachsenden China, vom Erwachen und Wiedererstarken Russlands, von den nicht hart arbeitenden und Schulden anhäufenden Griechen. Und auch nicht von der Eingliederung ehemals kommunistischer mittel- und osteuropäischer Länder in den alten, elitären EU-Klub. Und er wurde nicht verursacht von einer strukturell ähnlichen und zeitgleich stattfindenden Entwicklung, der gegenwärtigen Schwächung Amerikas.

Dieser Niedergang wurde von uns verursacht, von der im Ansatz mangelhaften und kontinuierlich verschlechterten Gestaltung des europäischen Integrationsprozesses, von den unproduktiven wirtschafts- und sozialpolitischen Massnahmen und von den progressistischen zivilisatorischen und kulturellen Doktrinen, die in den sechziger Jahren begannen, Fahrt aufzunehmen.

Dieser – auf Dauer unhaltbare – Zustand kann nur von uns selbst verändert werden, indem wir die Form der EU radikal umbilden und uns von der Ideologie des «Europäismus» befreien. Je schneller wir das tun, desto besser. Das britische Volk hat uns gezeigt, dass ein radikaler Durchbruch möglich ist.

Mentalität der Eliten

Um zur Anfangsfrage zurückzukommen: Ich möchte sagen, dass ein anderes Europa vorstellbar ist. Aber wenn ich, der ich auf dem europäischen Kontinent lebe, Tag für Tag die Propaganda und die Indoktrination höre, wenn ich die absurden Reaktionen auf das britische Votum lese und den totalen Mangel an überzeugenden und visionären Führern sehe, dann muss ich pessimistisch konstatieren, dass es selbst nach dem historischen Ergebnis des britischen Referendums nicht leicht sein wird, die europäischen Institutionen, die voll von Leuten sind mit dem eigennützigen Interesse an einer Fortsetzung des Status quo, radikal zu verändern.

Der so notwendige Wandel wird nicht an der Spitze beginnen. Er muss unten seinen Anfang nehmen, in einzelnen europäischen Ländern. Er sollte zu einer Transformation der gegenwärtigen Union in eine alternative Gemeinschaft (oder Union) führen. Das heisst nicht, dass man das Rad zurückdreht. Es bedeutet, voranzuschreiten. Es setzt voraus, dass man von einer Mentalität der Eliten zu einer Mentalität des einfachen Mannes wechselt. Das ist natürlich eine revolutionäre Aufgabe.

Václav Klaus, Die Weltwoche, Nummer 27, 6. Juli 2016.

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