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Deutsche Seiten, 12. 3. 2016
Vielen Dank für die Einladung und für die Möglichkeit hier, an Ihrer Wahlveranstaltung, sprechen zu dürfen.
Mein heutiges Auftreten bei Ihnen ist für mich die erste Gelegenheit an einer Wahlkampagne im Ausland teilzunehmen. In einer normalen Situation wäre es etwas außerordentliches, etwas nicht passendes, etwas nicht höffliches. Von außen sollte man sich in die Wahlen nicht einmischen. Dazu gibt es kein Mandat.
Wir befinden uns aber nicht in einer normalen Situation. Europa ist schon lange Zeit in Chaos, in einer tiefen Krise der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft, die die europäischen und proeuropäischen Politiker nicht ernst nehmen und nicht anerkennen wollen. Die Politiker mit Sicherheit nicht. Die Menschen zum Glück ja. Die normalen Menschen sehen und interpretieren die Situation ganz anders als die Politiker und ihre „fellow travellers“ (Mitläufer) in den Medien und in der Akademie.
Die alte, gut bekannte, schon lange Zeit diskutierte Krise, die Europa zur Stagnation führte, ist mit dem europäischen politischen, ökonomischen und sozialen System, mit der undemokratischen oder sogar antidemokratischen Unifizierung und Zentralisierung Europas und mit der absichtlichen Schwächung der europäischen Staaten und Nationen verbunden. Sie hat in dem letzten Jahr eine neue Dimension bekommen – die massive, massenhafte Migration. Diese Migration ist nicht vom Himmel gefallen. Ihre Gründe sollen wir aber nicht im Nahost oder Nordafrika suchen. Sie ist die Folge des europäischen selbstmörderischen Benehmens, genauer gesagt, des Benehmens der Politiker in Brüssel und in einzelnen Hauptstädten der EU Mitgliedstaaten.
Die gegenwärtige Migrationswelle hat in Europa fast alles verändert. Sie hat eine ganz neue, höhere Stufe der Abnormalität und Irrationalität nach Europa gebracht. Jetzt beginnt Europa ein wahres und gefährliches Schlachtfeld zu sein, bisher war dieses Wort nur eine Parabel. Die Situation ist kompliziert in vielen Ländern, aber der Kern des europäischen Migrationsproblems befindet sich hier, in Deutschland. Von hier, aus Deutschland, wurde die Einladung für die Migranten abgeschickt, nur hier, in Deutschland, kann diese Krise – vielleicht – gelöst werden oder zur Lösung gebracht werden.
Ich wollte meine Position klar machen. Mit den heutigen Tendenzen in der EU kann ich mich bereits lange Zeit nicht abfinden. Was ich jetzt erlebe, habe ich im Moment des Falls des Kommunismus nicht erwartet. Ich wollte – und zusammen mit mir Millionen von Tschechen und anderen Mittel-und Osteuropäern – in einer freien Gesellschaft und in einer freien Marktwirtschaft leben. Das ist nicht eingetreten.
Gewisse Stufe der Freiheit und der – mit der Marktwirtschaft verbundenen – Prosperität ist gekommen, die Unterschiede zwischen Kommunismus und EU-Europa sind nicht gering (und niemand kann sie leugnen), aber die Menschen in Europa sind heutzutage fast so stark reguliert, manipuliert und indoktriniert, wie wir in der späteren kommunistischen Ära gewesen sind. Das wissen – hoffe ich – die AfD Leute sehr gut.
Sie fühlen und sehen, dass die Meinungsfreiheit wieder begrenzt ist, dass die EU-Protagonisten und Propagandisten eine Atmosphäre geschaffen haben, in welcher gewisse Fragen und Antworten, das heißt gewisse Ansichten, nicht erlaubt werden. Die Wahlkampagne ist so manipuliert – besonders hier in Deutschland – wie in verschiedenen autokratischen Gesellschaften. Die wirkliche freie Debatte – diese unentbehrliche Substanz der Politik – existiert in heutiger EU leider nicht mehr. Bestimmt nicht in Deutschland. Nur deshalb können die Menschen die Fortsetzung des heutigen politischen Systems und des heutigen Weges der europäischen Integration, die zur Postdemokratie und zur Stagnation führen, unterstützen, verteidigen oder zumindest passiv tolerieren. Nur deshalb sind die Demonstrationen gegen das heutige Establishment – auch in Ihrem Land – so relativ klein und ohne Wirkung.
Die Entwicklung, die wir in Europa erleben, ist keine historische Notwendigkeit. Was wir erleben ist ein „man-made“ (selbstgemachtes) Problem. Es geht um eine sich selbstzugefügte Beschädigung, die wir zum Ende bringen müssen. In Europa brauchen wir – auch ohne die gegenwärtige Migrationswelle – mehr als die heute vorgeschlagene, das heißt oberflächliche, nicht tiefgehende partiale Veränderungen und Reformen. Wir brauchen mehr als das Spiel an Politik. Wir brauchen eine wirkliche Alternative der heutigen Politik. Das Wort Alternative im Namen Ihrer Partei ist absolut prinzipiell. Und sehr klug und verständlich. Deshalb ist das heutige Establishment so nervös und aufgeregt. Die Alternative zu dem heutigen System bedeutet sein Ende. Die Repräsentanten des Establishments wissen es sehr gut.
Wir sollten den Menschen die Wahrheit sagen. Wir müssen sie überzeugen, dass wir uns in einer Sackgasse befinden, wo kann man nicht vorwärts gehen. Deshalb müssen wir diese Sackgasse so schnell wie möglich verlassen. Dazu brauchen wir eine radikale Änderung der Politik, des Wirtschafts- und Sozialsystems und des Modells der europäischen Integration. Dazu sollten die Wahlen die Voraussetzungen bringen.
Die Herausforderung ist groß, aber motivierend. Es geht um die Zukunft Europas, um die Erhaltung der europäischen Kultur, der Zivilisation, des Lebensstils und der Religion. Die heutige Krise, die die wirkliche Bedrohung Europas darstellt, ist etwas anderes als unsere, schon lange Zeit andauernde ökonomische Stagnation, Staatsschulden und relative Rückständigkeit im Vergleich zu anderen Kontinenten.
Es scheint mir, dass die heutigen europäischen Politiker – mit ihrer Absenz am politischen Mut, mit ihrer Akzeptanz der vernichtenden politischen Korrektheit, mit ihrer ideologischen Verwirrung – unfähig und unvorbereitet sind, eine Wende vollzubringen. Eine Wende in sich selbst, und deshalb auch in Europa. Solche Wende zu machen ist aber für unsere Zukunft absolut notwendig.
Deutschland ist in dieser Hinsicht entscheidend. Deshalb meine heutige Rede. Deshalb meine Anwesenheit bei der Wahlkampagne in Ihrem Land, deshalb bin ich da, deshalb meine Unterstützung der AfD, die ich gerade jetzt als eine nicht so einfach wiederholte Hoffnung für Deutschland, und für uns alle, betrachte.
Ich glaube, dass Sie in den Wahlen einen sichtbaren und überzeugenden Erfolg erzielen werden. Den braucht Ihre Partei, den brauchen wir alle.
Gegen Ihre Partei steht eine mächtige Koalition, die Koalition der probrüsselischen Parteien, was aber nicht das Wichtigste ist. Gegen sie steht auch der mediale, akademische und kulturelle Mainstream der „Besseren“ und „aufgeklärten“ Menschen, die viel besser als wir wissen, was für uns richtig und notwendig ist. Sie sind für Ihre Partei der Hauptgegner.
Sie sind aber nicht allein. An Ihrer Seite stehen die einfachen, gewöhnlichen Leute, die die heutige Bedrohung Europas viel besser sehen, fühlen und verstehen als die selbstauserwählten Eliten (oder Quasi-Eliten). Ihre Anhänger sind nicht die Leute, die zu dem subventionierten, bestechenden Teil des Establishments gehören. Ihre Partei sollte diese vernünftigen, normalen, werktätigen und vom Lohn lebenden Menschen stolz und selbstbewusst repräsentieren. Ihre Partei braucht ihre Stimmen. Hoffentlich haben die Wähler die Chance bekommen, ihre Partei in der Wahlkampagne gut zu hören und zu verstehen. Hoffentlich haben sie ihnen Ihre politischen Positionen gut erklärt.
Meine Wünsche für Ihren Wahlerfolg sind aufrichtig, aber – ich muss zugeben – teilweise auch egoistisch. Auch in Ihrem Nachbarstaat, in der Tschechischen Republik, brauchen wir den Erfolg Ihrer Partei. Sonst werden wir die Residuen der Freiheit und Souveränität auch bei uns bald verlieren.
Noch einmal vielen Dank für diese ungewöhnliche Gelegenheit.
Václav Klaus, Wahlkampagne Rede für AfD in Neuwied, 11. 3. 2016.
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