Klaus.cz






Hlavní strana » Deutsche Seiten » „Keiner braucht die EU…


„Keiner braucht die EU-Verfassung“

Deutsche Seiten, 18. 2. 2004

Im Interview mit Journalisten der Verlagsgruppe Passau spricht der tschechische Staatspräsident Václav Klaus über seinen Kampf gegen übertriebene Vereinheitlichung in der EU, die wirtschaftlichen Folgen der EU-Erweiterung und die Grenzen Europas.

Herr Präsident, könnten Sie uns bitte Ihr Portmonee zeigen? Haben Sie als entschiedener Euro-Gegner nur Kronen oder auch Euros dabei?

Klaus (zieht 100-Euro-Scheine aus der Tasche): In meiner Tasche habe ich Euros. Aber ich habe lange Zeit keine Euros benutzt, vielleicht ein Jahr lang.

Die Erweiterung der EU bietet Anlass zur  Rückschau und zur Vorausschau. Welches Europa erhoffen Sie sich am Ende dieses Jahrhunderts?

Klaus: Dieses Jahrhunderts? Ich bin ein bescheidener Mensch und denke in kürzeren Zeiträumen als in Jahrhunderten. Ich denke in Jahren,  an eine vorstellbare Zukunft, ich bin kein Science-Fiction-Autor. Deshalb denke ich an die Probleme, die die beschleunigte Vereinheitlichung in Europa bereitet. Das ist für mich das Thema nicht nur meiner politischen Karriere, sondern meines Lebens. Ich sehe Schwierigkeiten und hohe Kosten, die die Europäer für diese künstliche und beschleunigte Vereinheitlichung haben werden.

Lehnen Sie die europäische Einigung ab?

Klaus: Ich unterscheide ganz klar zwischen Integration und Vereinheitlichung. Integration ist für mich ein natürlicher, evolutionärer Prozess, der ohne unsere spezifische Unterstützung oder Beschleunigung, ohne unsere Maßnahmen abläuft. Vereinheitlichung ist für mich dagegen eine künstliche Sache, die ich nicht für notwendig halte. Ich bin hundertprozentig für die Öffnung Europas in allen möglichen Bereichen, für Liberalisierung und  die Beseitigung von allen möglichen Barrieren oder Bremsen für die Zusammenarbeit von Europäern. Aber ich bin nicht für die künstliche Vereinheitlichung, Harmonisierung, Zentralisierung von oben.

Im vergangenen Jahr ist der EU-Gipfel von Brüssel über die neue Verfassung gescheitert. Wie wichtig ist die neue Verfassung für die Funktionsfähigkeit der EU aus Ihrer Sicht?

Klaus: Die EU-Verfassung ist absolut unwichtig, unnötig. Die europäischen Länder brauchen die Verfassung bestimmt nicht. Wie Sie sehen, funktioniert Europa ohne die Verfassung.

Wie viel Ausdehnung verkraftet die EU? Wo sind die Grenzen Europas? Gehört die Türkei  zu Europa?

Klaus:  Als Volkswirt analysiere und kritisiere ich die nächsten Schritte und nicht das Ende irgendwo in der Zukunft. Für mich ist nicht die Frage, ob Georgien oder Marokko einmal in der EU sein werden. Die Fragen lauten jetzt: Wann werden neue Mitglieder hinzukommen? Wer wird das sein? Bulgarien, Rumänien, Kroatien? Wann werden es Mazedonien, Serbien, Albanien sein? Zur Türkei muss  ich sagen: Für mich ist die Türkei im kulturellen Sinn nicht Teil Europas. Die Türkei als Teil einer  Freihandelszone, einer Gemeinschaft von Ländern, die die Öffnung von Grenzen organisieren – warum nicht? Wenn wir aber einen Eintopf in Europa machen wollen, dann gehört die Türkei bestimmt nicht dazu. Wenn wir die Küche von Bayern, Böhmen, Österreich und anderen Ländern hier in der Nähe nehmen − daraus können wir einen essbaren Eintopf machen. Mit der Türkei  nicht.

Was wird sich für die Bürger Ihres Landes nach dem 1. Mai ändern?

Klaus: Nichts. Das ist jetzt keine politische Aussage, ich spreche als ein Analytiker. Ich hielt vor ein paar Wochen einen Vortrag an einer tschechischen Universität und bekam dort eine ähnliche Frage gestellt. Ich sah unter den Zuhörern ein Paar, und ich sagte: Sehen sie dieses junge Paar an. Ich vermute, dass sie schon seit ein paar Jahren in einer Wohnung zusammenleben ohne verheiratet zu sein. Dann kommt die Großmutter und verlangt, dass sie sofort heiraten. Und wenn sie dass dann tun, wird sich im Leben dieser beiden jungen Leute nichts ändern. Ein Tag vor der Ehe, ein Tag nach der Ehe – nichts wird sich ändern. Genauso ist es auch für die Bürger Tschechiens vor und nach dem 1. Mai. Der formale Beitritt und die reale Anpassung sind ganz verschiedene Seiten.

Tschechien hat schon fast 70 Prozent der durchschnittlichen Wirtschaftskraft der EU-Staaten erreicht. Welche Chancen hat Tschechien vor diesem Hintergrund, sich in der EU zu behaupten?

Klaus: Diese beiden Bemerkungen kann man nicht in einen Satz packen. Eine Frage ist: Wie schnell wird die ökonomische Angleichung gehen. Das hat nichts zu tun mit der Position der tschechischen Republik in der EU, mit der Identifizierung unserer Leute mit der EU. Die ökonomische Angleichung wird lange Zeit dauern. Wenn sie zum Beispiel die Konvergenz von Portugal, Spanien, Griechenland sehen: Diese drei Länder sind im Vergleich zum EU-Durchschnitt heute im Prinzip ungefähr auf demselben Stand wie 1983. Also gibt es auch dort keine Konvergenz zum EU-Durchschnitt. Für mich ist die Frage der wirtschaftlichen Angleichung nicht so wichtig. Wie werden wir in der EU unsere Position verteidigen, wie werden wir uns dort behaupten – das ist etwas anderes. Das hängt vor allem von der tschechischen Politik ab. Und in dieser Hinsicht bin ich leider nicht sehr zuversichtlich, wenn ich die Position unserer heutigen Regierung sehe.

In welchem Umfang  werden sich nach dem 1. Mai Bürger Ihres Landes  um Arbeit und auch um Aufträge in den alten EU-Ländern – vor allem in Deutschland und Österreich – bemühen?

Klaus: Das Problem wird bestimmt überschätzt. Die Tschechische Republik hat seit November 1989 so viele Öffnungen und Anpassungen an Europa gemacht, dass diese formale Änderung am 1. Mai fast  unwichtig ist. Für die heutigen EU-Mitglieder muss ich sagen: Sie sind schon da bei uns, in allen möglichen Rollen, die ich mir vorstellen könnte. Sie sind da als Touristen, als Geschäftsleute, als Investoren.  Ich glaube nicht, dass nach dem 1. Mai mehr Touristen aus Deutschland oder Italien kommen werden. Die tschechischen Supermärkte sind voll von westeuropäischen Produkten; ich glaube nicht, dass es nach dem 1. Mai etwa noch mehr deutsche Produkte sein werden.  Und umgekehrt: Auch die tschechischen Firmen, die stark und wettbewerbsfähig genug sind, die sind schon in Niederbayern. Firmen, die nicht konkurrenzfähig sind, die werden nach dem 1. Mai auch nicht kommen. Ich erwarte also wirklich keine wesentliche Änderung.

Deutschland setzt die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt für die Beitrittsländer nach dem 1. Mai aus. Wird Tschechien eine ähnliche Maßnahme ergreifen?

Klaus: Auch hier gilt: Auf der einen Seite ist die reale Lage, auf der anderen Seite die formale. Ich erinnere mich sehr gut an die Debatten vor 14 Jahren: Die Grenze ist geöffnet, die Tschechen werden hier den Arbeitsmarkt absolut verändern. Es gibt wahrscheinlich tausende Tschechen, die   hier  arbeiten, aber das hat die deutsche Arbeitsmarkt-Situation nicht geändert. Und ich erwarte auch keine dramatische Veränderung nach dem 1. Mai.

Warum haben dann schon eine Reihe von Staaten angekündigt, die Freizügigkeit einzuschränken?

Klaus: Das ist ein Schattenspiel von Politikern, die im Puppentheater etwas aufführen, um Wähler zu gewinnen. Man sollte diese Ankündigungen nicht für so wichtig nehmen.

Tschechien wird Fördergebiet erster Kategorie werden. Das wird auch Unternehmen aus dem Ausland animieren, sich dort zu engagieren. Wäre das aus Prager Sicht ein willkommener Prozess? Oder sagt man: Das würden wir gerne selber machen, da brauchen wir keine Investoren?

Klaus: Wir brauchen Investoren. Wir sind aber nicht bereit, künstliche Verbesserungen für sie zu schaffen. Wer investieren will, der kann kommen. Aber wir werden weder locken noch bremsen.

Passauer Neue Presse, 11.2.2004

vytisknout

Jdi na začátek dokumentu