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Deutsche Seiten, 10. 3. 2015
Gespräch mit Václav Klaus, früherer Präsident der Tschechischen Republik, über den Ukraine-Konfl ikt und die Rolle der Supermächte USA und Russland, über die Pegida-Demonstrationen und Mario Draghis Anleihenkäufe in Billionenhöhe.
Herr Klaus, im Gegensatz zu vielen prominenten Persönlichkeiten, wie z.B. Prof. Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut in seiner gestrigen Rede, gelten Sie als vehementer Kritiker des Projekts „EU“. Warum?
Das Hauptargument von Prof. Sinn und vielen anderen ist, dass die EU ihrer Ansicht nach ein Friedensprojekt ist. Ich bin aber der Meinung, dass die EU mit Frieden nichts zu tun hat. Ganz im Gegenteil, die beschleunigte, künstliche und grenzenlose Gleichmachung von ungleichen Ländern kann sogar auf Un-Frieden hinauslaufen. Europa sollte wirklich ein Friedenskontinent bleiben, aber bitte ohne EU.
Von Krieg in Europa kann ja nun wirklich keine Rede sein…
Die EU per se steht natürlich nicht für Unfrieden, das wollte ich nicht sagen. Aber die Beschleunigung der Integration hat unzweifelhaft neue Konflikte mitgebracht, und das sehen wir in Europa heute. Die Situation hier ist besonders nach der Gründung der EU viel schlimmer als vor 20 Jahren. Das ist für mich ganz offensichtlich. Wir sehen die Demonstrationen in verschiedenen Ländern des europäischen Südens, und das bezeichne ich schon als Konflikt.
Übertreiben Sie da nicht ein bisschen?
Schauen Sie, beim ersten Staatsbesuch nach dem Krieg eines deutschen Kanzlers in Griechenland waren zu seinem Schutz sieben Polizisten notwendig. Als zuletzt Angela Merkel Athen besuchte, waren es 7.000 Polizisten. Das ist schon eine kleine Armee. Und die EU soll ein Friedensprojekt sein?
Kommen wir zum Ukraine- Konflikt. Da sprechen die EU-Länder mit mehr oder weniger einer Sprache – und man hat sich eindeutig gegen Russland positioniert. Sie haben sich viel mit dieser Thematik beschäftigt. Was ist Ihre Meinung dazu?
Die EU stellt sich auf den Standpunkt, dass die Sanktionen gegen Russland richtig sind. Die Sanktionen sind aber das Ergebnis einer Interpretation dieses Konflikts. Und wenn wir diese Interpretation nicht annehmen, dann müssen wir gegen die Sanktionen sein. Das ist meine Position. Ich bin nicht der Meinung, dass Russland den Konflikt in der Ukraine verursacht hat. Das ist nicht meine Interpretation der Dinge und deshalb kann ich diese Sanktionen definitiv nicht gut heißen. Und ich muss hinzufügen: Ich bin kein Freund von Putin.
Also sehen Sie in der Annexion bzw. Sezession der Krim keine Verletzung des Völkerrechts?
Auf jeden Fall würde ich das so sehen, wenn es gegen den Willen der Mehrheit der dort lebenden Bevölkerung geschehen wäre. Aber genau das ist ja nicht der Fall. Die dortigen Einwohner haben sich in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für den Anschluss an Russland ausgesprochen.
Aber es ist doch offensichtlich, dass sich nahezu alle EU-Staatschefs einig sind, dass Russland in der Krim-Angelegenheit Völkerrecht gebrochen hat.
Ja und nein. Ich bin ganz sicher, es gibt mehrere Ministerpräsidenten oder Staatspräsidenten in EU-Mitgliedsstaaten, die diese Idee im Prinzip nicht in ihrem Herzen haben. Aber es ist politisch korrekt, gegen Russland zu sein. Diese Leute haben nicht genug Mut, nein dazu zu sagen. Das ist meine Interpretation. Oftmals kommen Politiker nach einer Rede von mir auf mich zu und sagen mir im Vertrauen: „Sie sprechen mir aus dem Herzen. Das ist genau meine Position.“ Und ich frage dann: „Warum sagen Sie das nicht laut?“ Die Antwort: „Das ist in unserem Lande nicht möglich, das kann ich mir nicht erlauben.“ In der Slowakei gab es übrigens auch große Bedenken gegen die Sanktionen, und auch in Tschechien wurde das Thema sehr kontrovers diskutiert. Das ist alles nicht so eindeutig, wie es erscheint.
Das mag sein, aber beispielsweise sind die baltischen Staaten oder Polen doch eindeutig gegen Russland und Putin eingestellt.
Stimmt. Polen ist traditionell antirussisch und es gibt Gründe dafür. Der Unterschied zwischen Polen und der Tschechischen Republik ist in dieser Hinsicht sehr groß. Polen wurde mehrmals in seiner Geschichte von Russland angegriffen.
In der Weltpolitik gibt es Einflusssphären, und die Ukraine gehörte immer zur russischen dazu. Aber die Amerikaner haben das nicht akzeptiert, nicht respektiert. Sie versuchen, ihre Einflusssphäre stückweise auszudehnen. Kommt es nun in der Ukraine zum Showdown zwischen den USA und Russland?
Vermutlich ist das so. Ich bin der Meinung, dass die Ukraine nur ein Opfer in diesem Konflikt ist. Dort manifestiert sich nur der Konflikt, was bisher Tausende Menschen das Leben gekostet hat. Ich hatte bereits während der sogenannten Orangenen Revolution vor zehn Jahren meine Zweifel. Ich habe an die Orangene Revolution nicht geglaubt, und jetzt haben wir die zweite Phase. Ich sage immer, die Ukraine ist ein geteiltes Land und zerbrechlich. Ich habe immer davor gewarnt, die Ukraine zu zwingen, sich zu entscheiden: Gehören wir zum Westen oder zum Osten?
Sie haben angesprochen, dass die Ukraine ein geteiltes Land ist. Wenn man das Land anschaut, es gab immer eine Westhälfte, die zu Österreich-Ungarn, und eine Osthälfte, die zu Russland gehörte. Sehen Sie da nicht Parallelen zu Tschechien und der Slowakei?
Ja und nein. Tschechien und die Slowakei liegen in Mitteleuropa, die Ukraine am Rande. Das ist etwas anderes. Sie haben richtig gesagt, die Westukraine gehörte damals zur KuK- Monarchie oder zu Polen und nach dem ersten Weltkrieg gehörte ein Teil der Ukraine sogar zur Tschechoslowakei. Das wissen die meisten heute nicht mehr.
Sehen Sie denn eine Chance auf eine Teilung der Ukraine als Lösung? Immerhin waren Sie doch auch für die Teilung der Tschechoslowakei maßgeblich.
Ja, ich war als damaliger Ministerpräsident sicherlich der Hauptverantwortliche bei der Teilung der Tschechoslowakei. Daher wurde ich mehrmals in den letzten 25 Jahren von Separatisten ı angesprochen: Sagen Sie uns, wie sollen wir die Teilung umsetzen? In Flandern, in Quebec, in Schottland. Ich habe diesen Leuten immer gesagt: Das ist die falsche Frage, denn ich wollte die Teilung nicht. Naturgemäß wünscht ein Präsident nicht die Teilung seines Landes. Aber ich habe irgendwann kapiert, dass die Teilung notwendig ist. Deswegen bin ich sehr vorsichtig, Empfehlungen zur Teilung eines Landes abzugeben. Nicht nur politisch vorsichtig, sondern auch menschlich. Es ist ein gewaltiger Schritt, der wohl überlegt sein muss. Allerdings sagt mir meine Erfahrung: Ein normales Zusammenleben in der Ukraine ist nach so viel Blutvergießen nicht mehr möglich. Also läuft es wohl auf eine wie auch immer geartete Teilung hinaus.
Sie sind Staatsmann, Sie haben sich mit Putin getroffen, Sie kennen auch den amerikanischen Präsidenten, Sie wissen, wie Politik funktioniert. Was ist Ihre Einschätzung, wie wird dieser Konflikt enden?
Ganz ehrlich, ich habe Angst. Ich bin der Meinung, dass Russland nicht zurückgehen kann, das ist absolut unmöglich. Besonders was die Krim angeht. Was wird in der Ost-Ukraine – in Donezk und Lugansk – geschehen? Ich weiß es nicht. Ich habe letzte Woche auf einer Konferenz in Wien mehrmals gesagt, ich sehe keine eigenständige Ukraine, die heutigen ukrainischen Politiker erwarten eine externe Intervention als Lösung dieses Problems. Das wird hoffentlich nicht kommen, denn dann bricht die Hölle los. Man muss ehrlich verhandeln, um das zu verhindern!
Tut man das nicht andauernd? In Minsk, in München?
Nein, das macht man nicht. Man tauscht nur Standpunkte aus. Aber ohne Verhandlungen kann es keine Lösung geben. Südafrikas Ex-Präsident de Klerk hat immer gesagt: „Negotiate, negotiate, negotiate!“ – verhandeln, verhandeln, verhandeln! De Klerk hat das perfekt umschrieben: Sie müssen sich die Schuhe Ihres Opponenten anziehen, ansonsten werden Sie nie verstehen, wie er denkt. Leider passiert dies nicht. Jeder beharrt nur auf seinem Standpunkt.
Apropos Standpunkt: In Deutschland sorgten bis vor Kurzem die sogenannten Pegida-Demonstrationen für große Aufmerksamkeit. Haben Sie das in Tschechien überhaupt wahrgenommen?
Ja, von der Ferne aus beobachte ich das schon. Ich habe gestern Abend in Hotel-Fernsehen die Demonstration der Anti- Pegida gesehen. Ganz ehrlich, vor dieser Bewegung fürchte ich mich mehr als vor Pegida selbst.
Können Sie das bitte näher erläutern?
Diese Anti-Pegida-Demonstrationen sind nicht spontan. Das sind Demonstrationen wie in kommunistischen Zeiten, organisiert von oben, von links, den Grünen, von der Linken, aber auch von der CDU, SPD und den Gewerkschaften. Ich weiß nicht, was die Leute auf diesen Pegida-Demonstrationen sagen. Aber meine Interpretation ist, dass das eine spontane Reaktion auf die Irrationalität des Multi-Kulturalismus und der ungebremsten Einwanderung ist. In dieser Hinsicht hat die Pegida-Bewegung einen gesunden Kern. Das ist meine Interpretation der Situation. Ich kann mir vorstellen, dass verschiedene Leute bei Pegida für mich unakzeptabel sein könnten. Aber im Prinzip halte ich die Abwehrreaktion, aus der Pegida entstanden ist, für etwas Natürliches. Die Anti-Pegida dagegen ist organisiert und daher unnatürlich.
Lassen Sie uns einen großen thematischen Sprung machen: EZB- Präsident Mario Draghi kündigte vor Kurzem an, über 1 Bio. EUR in den nächsten eineinhalb Jahren für Anleihenkäufe auszugeben. Wie bewerten Sie das?
Diese quantitative Lockerung kann nichts anderes als Inflation bringen und ich würde meinen: Es ist nicht möglich, die Schulden auf einem anderen Weg zu eliminieren. Die Inflation ist die einzige Möglichkeit, das zu schaffen. Deshalb haben die Politiker keine Angst vor der Inflation, sie brauchen die Inflation.
Schulden ließen sich auch über Bankrotte eliminieren…
Dann käme der Banksektor unter die Räder, das wäre systemgefährdend, und das will man nicht. Deshalb wählt man den eleganteren Weg der Inflationierung. Das führt dann letztlich zur Verstärkung des Zentralismus, des Interventionismus und zu einem Mehr an Regularien.
Die „Freiheit“ war immer Ihr großes Thema. Wenn Sie aber so von Interventionismus und neuen Regularien sprechen, dann bedeutet das doch weniger Freiheit, oder?
Ja, das bedeutet anti Freiheit und anti Markt.
Herzlichen Dank für das offene Gespräch.
Petr Bystron und Ralf Flierl, Smart Investor, 10. März 2015.
Das Gespräch fand am 27. Januar 2015 in München statt.
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