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Kooperation braucht keine Regierung

Deutsche Seiten, 19. 5. 2014

Sie galten als Präsident als Kritiker der Europäischen Integration und sprachen oft von „Überregulierung“ durch die Gemeinschaft: Wollen Sie wieder mehr Nationalstaaten?

Ich spreche nicht nur über die Überregulierung in der EU, ich kritisiere das ganze Konzept, das ganze Schema der heutigen europäischen Integration. Das ist etwas anderes. Zu der zweiten Hälfte Ihrer Frage, ja, ich will mehr von Staaten, weniger von Brüssel, mehr von heute existierenden europäischen Staaten wie Italien, Spanien oder die Tschechische Republik. Das Wort „Nationalstaaten“ ist unnötig und irreführend.

Sie haben sich gegen den Abschluss des Vertrages von Lissabon gewehrt: Ist die EU ohne Neuordnung ihrer Strukturen überhaupt regierbar?

Ich bin für ein freundliches und freundschaftliches Zusammenleben der europäischen Staaten und der europäischen Völker und für ihre positive und produktive Kooperation. Solche Kooperation braucht keine Regierung, sie braucht nur einen „Apparat“. Die Europäische Kommission heute leider regiert, was nicht nötig und nicht demokratisch ist. Dieses Regieren brauchen wir nicht. Das braucht unser Kontinent nicht. Die Regierungen in einzelnen Staaten sind mehr als genügend.

Auch dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Gemeinschaftswährung können Sie wenig abgewinnen: Warum geht es der Tschechischen Republik und ihrer Wirtschaft besser, wenn sie bei der Krone bleiben?

Eine Sache ist es, wie gut oder schlecht die Tschechische Republik funktioniert. Damit bin ich nicht zufrieden. Die andere Sache ist der positive oder negative Beitrag der gemeinsamen Währung zu dem Funktionieren der europäischen Wirtschaft. In dieser Hinsicht bin ich skeptisch. Als ein Volkswirt, nicht als ein Politiker, bin ich der Meinung, dass die gemeinsame europäische Währung ein falsches und unnötiges Projekt war. Es hat niemandem in Europa geholfen. Viele von uns wussten, dass die Heterogenität Europas mehrere Währungen braucht, nicht nur eine gemeinsame Währung. Es war und ist ganz klar,  „one size does not fit all“ (eine Einheitsgröẞe passt nicht allen, Anm.). Das verstehen viele Europäer  heute schon ganz gut. Hoffentlich auch die Italiener.

Die meisten Parteien im anstehenden EU-Wahlkampf sprechen von „mehr europäischer Integration“: Warum ist es für Sie überhaupt wichtig, am Wahlkampf für ein gemeinsames Parlament teilzunehmen?

Ich bin in dem Wahlkampf nicht aktiv tätig. In der letzten Zeit habe ich „nur“ ein paar Reden und Vorlesungen in verschiedenen Ländern gemacht. Auch hier, in Brixen, werde ich nur über die Situation in Europa reden, ich kenne keinen Namen von Kandidaten. Ich bemühe mich nichts anderes als darum, die Menschen zu mobilisieren: Sie verstehen leider noch nicht, wie wichtig die EU-Veranstaltung ist. Ihr Leben ist von Brüssel mehr beeinflusst, als sie denken. In Südtirol spricht man noch heute mehr über Rom als über Brüssel, was falsch ist.

„Mehr europäischer Integration“ ist als Slogan ganz ungenügend. Was bedeutet „mehr Integration“? Mehr Liberalisierung, mehr Öffnung, mehr Deregulierung wie am Anfang in der Zeit von EWG oder mehr Regulierung, mehr Harmonisierung und Unifizierung wie in der Zeit von EU? Ich wollte nicht die Debatte auf deren ökonomische Dimension reduzieren. Trotzdem muss ich sagen, dass die Stagnation der Wirtschaft in Italien viel tiefer ist als in vielen anderen Ländern: Gestern zum Beispiel habe ich in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen, dass die ökonomische Entwicklung Italiens seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts die schlechteste ist – mit der Ausnahme von Haiti und Zimbabwe! Die permanente Stärkung der De-Demokratisierung Europas, die wir erleben, halte ich aber für einen wichtigeren Punkt als die ökonomische Stagnation.

Einerseits achten Sie auf die Pflege der transatlantischen Beziehungen, anderseits haben Sie in der Ukraine-Krise Wladimir Putin ausdrücklich in Schutz genommen: Was hat der Westen falsch gemacht?

Ich habe Wladimir Putin im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine nicht in Schutz genommen. Ich habe etwas anderes in Schutz genommen: die Wahrheit und die elementare Rationalität unseres Denkens. In den letzten Monaten sind wir die Opfer einer außerordentlichen Manipulation. Was wir jetzt erleben, habe ich schon 25 Jahren nicht mehr gesehen: das letzte Mal in der Ära des Kommunismus. Es ist ganz klar, dass in der Ukraine keine authentische, spontane Revolution stattgefunden hat. Die dortige „Revolution“ wurde vom Ausland hingebracht – aber leider vom Westen, nicht vom Osten. Die Ukraine ist heute nur ein „Instrument“ in einem gefährlichen Versuch, die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland zu destabilisieren. Damit kann ich nicht einverstanden sein. Und das sage ich als jemand der mehr als 40 Jahre im Kommunismus – als ein starker Kritiker – gelebt hat.  

Welche osteuropäischen Länder sollen Ihrer Meinung nach irgendwann noch in die EU aufgenommen werden?

Wir Tschechen haben relativ lange auf die EU Mitgliedschaft gewartet. Jetzt sind wir da. Deshalb habe ich keine Ambitionen, neue Mitgliedstaaten „kadermäßig zu überprüfen“. Wir als „EU Junior-members“ sind für die weitere Erweiterung der EU. Ja mehr, desto besser.

In Südtirol sprechen Sie am Freitag auf Einladung der Freiheitlichen, die mit der italienischen Lega Nord verbündet sind: Worin unterscheidet sich ihre Fraktion „Europäische Konservative und Reformisten“ (EKR) eigentlich noch von  jener von „Europa der Freiheit und der Demokratie“ (EFD) um die italienische Lega Nord oder die britische UKIP?

Ich habe keine Fraktion. Die Partei, die ich gegründet und elf Jahre lang geleitet habe, ist heute in der Fraktion EKR, aber ich bin in dieser Zeit schon relativ weit von dieser Partei entfernt. Im Prinzip bin ich gegen die Idee des europäischen Parlaments, das heißt, auch gegen die Europawahlen. Aber z. B. die britische UKIP oder die Alternative für Deutschland (AfD) schätze ich sehr hoch ein.

Wir Südtiroler achten naturgemäß auch auf die Situation anderer Minderheiten in Europa: Warum ist es für die tschechische Republik so schwer, die sogenannten Beneš-Dekrete nicht einfach zu überwinden?

Was meinen Sie mit dem Wort „überwinden“? Die sogenannten Beneš-Dekrete sind ein Teil unseres Rechtssystems. Sie sind auch ein Teil unserer Geschichte. Das alles ist aber schon die Vergangenheit, und die Vergangenheit kann man nicht ändern. Mit der Vergangenheit sollten wir auch nicht die heutigen politischen Karten spielen. Das sollte man nicht machen, und das verstehen die Südtiroler bestimmt sehr gut.

Empfinden Sie eine Minderheit wie die Sudeten-Deutschen nicht als Mehrwert für Ihr Land?

Für mich ist es schwierig, das Wort „Sudetendeutsche“ zu gebrauchen. Heute kann ich auch nicht über die Sudetendeutschen in meinem Land sprechen. Sie sind nicht da, diese Minderheit existiert bei uns nicht. Sie wurden zu Opfern Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus: Diese Leute haben diese Minderheit aus unserem Gebiet beseitigt. Das haben wir nicht gemacht.

Moritz Windegger, Dolomiten, 15. Mai 2014

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