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Weg mit der Zwangsjacke!

Deutsche Seiten, 9. 5. 2012

Seit Jahren schenken die Europäer den Entwicklungen auf ihrem Kontinent ungenügende Aufmerksamkeit oder wagen es nicht, ihnen kritisch in die Augen zu schauen. Einige haben vor zwei Jahren – zu Beginn der Schuldenkrise in der Eurozone – zwar begonnen, die Probleme näher zu betrachten, aber sie wollen nicht wahrhaben, dass diese Krise bloss die Spitze eines viel grösseren Eisbergs war.

Wie ihre Politiker und Ökonomen werteten sie die Krise von 2008/09 als globales Phänomen, als ob die Europäer diese unschuldig importiert hätten, wenn es sich doch offensichtlich um eine europäische und nordamerikanische Krise handelte. Die lang andauernden Probleme in Europa sind weitherum unterschätzt worden. Deshalb ist eine historische Perspektive vonnöten. Die europäische Integration fusste ursprünglich auf der vernünftigen Idee, Europa zu liberalisieren, es zu öffnen, den Handel durch den Bau eines gemeinsamen Marktes und eines grossen, miteinander verbundenen Wirtschaftsraums auszuweiten. Eine solche Liberalisierung charakterisierte mehr oder weniger die ersten Jahrzehnte des europäischen Integrationsprozesses. Sie brachte positive Ergebnisse, besonders verglichen mit den 1930er-Jahren.

Aber die gegenwärtige Ära ist anders, weil die europäische Integration sich auf eine andere Stufe hinbewegt hat. Die Liberalisierung wurde ersetzt durch eine massive Verschiebung der Kompetenzen von Einzelstaaten zu den «Kommandohöhen» in Brüssel; durch den radikalen Wechsel vom Intergouvernementalismus zum Supranationalismus, durch sorgfältig organisierte Schwächung der ursprünglichen Bausteine der europäischen Integration, der Einzelstaaten, durch gross angelegte Zentralisierung, marktfeindliche Regulierung, Standardisierung und Harmonisierung des ganzen Kontinents.

In der Vergangenheit hat ein höchst heterogener Kontinent dank seiner Vielfalt, seiner Uneinheitlichkeit und des gesunden Wettbewerbs zwischen den Staaten floriert. Dies änderte sich, als Europa sich vereinheitlichte und durch zentral organisierte Lenkung und Gesetzgebung gleichförmig gemacht wurde. Dies führte zu den beunruhigen-den wirtschaftlichen Folgen, die wir heute sehen, und zu dem, was man demokratisches Defizit nennt. Ich nenne es Post-Demokratie. Institutionelle Einförmigkeit wurde zur Zwangsjacke, die positive menschliche Aktivitäten blockiert. Dabei am wichtigsten war die Errichtung der Europäischen Währungsunion – Einführung einer Einheitswährung in einer Gruppe von zwölf Ländern (heute 17), die keinen, wie die Ökonomen sagen, optimalen Währungsraum bilden. Die Staatsschuldenkrise der Eurozone ist die unvermeidliche Folge der Einheitswährung, des einheitlichen Wechselkurses und des einheitlichen Zinssatzes für Länder mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Parametern. Der politische Entscheid zugunsten dieser Vereinbarung wurde getroffen, ohne dass vorhandenen wirtschaftlichen Grundlagen genug Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Volkswirte wissen: Falsch konstruierte Währungsunionen sind kostspielig, dauern nicht lange. Solche Vereinbarungen können durch Solidarität unter Mitgliedern und durch enorme steuerliche Transfers hypothetisch «gerettet» werden. Aber es gibt in Europa kein authentisches Solidaritätsgefühl, und es gibt in den Händen von Europas politischen Behörden keine grosse Menge von Geldmitteln, um Staaten zu entschädigen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Parameter Opfer einer solchen Vereinbarung geworden sind.

Deshalb gibt es keine rasche Lösung für die Staatsschuldenfalle der Eurozone. Es gibt bloss unangenehme Folgen: kurzfristige Haushaltsprobleme und langfristige Stagnation.

Das gegenwärtige Modell ist jedoch nur die Hälfte des Problems. Ausser den durch die Integration hervorgerufenen Schwierigkeiten gibt es ein gewaltiges Problem mit Europas sozialer Marktwirtschaft. Diese gibt Einkommensumverteilung den Vorzug vor produktiver Tätigkeit. Sie gibt Musse, Freizeit und langen Ferien den Vorzug vor harter Arbeit. Sie gibt dem Verbrauch den Vorzug vor Investition, Schulden vor Ersparnissen, Sicherheit vor Risiko. Sie gibt Sozialdemokratismus den Vorzug vor Kapitalismus.

Das Problem ist tief verwurzelt und kann nicht durch noch mehr EU-Gipfel repariert werden. Um Europa wieder produktiv zu machen, braucht es etwas, das strukturell mit der Aufgabe vergleichbar ist, die wir in der Tschechischen Republik anpacken mussten, um den Kommunismus und sein Erbe abzuschütteln. Nötig sind – zuallermindest – die Umgestaltung des Sozial- und Wirtschaftssystems und die Restrukturierung der europäischen Integration.

Welche sind die Hauptbestandteile eines solchen Wandels? Erstens müssen wir die unproduktive und paternalistische soziale Marktwirtschaft loswerden. Zweitens sollten wir akzeptieren, dass wirtschaftliche Anpassungsprozesse Zeit brauchen und ungeduldige Politiker und Regierung in der Regel die Dinge nur schlimmer machen. Drittens sollten wir mit umfassenden Kürzungen der Staatsausgaben beginnen und aufhören, mit Lösungen zu liebäugeln, die auf Steuererhöhungen basieren.

Wir sollten auch der ständig ausufernden grünen Gesetzgebung Einhalt gebieten. Die Grünen müssen daran gehindert werden, unter der Flagge von so fehlerhaften Ideen wie der Klimawandeldoktrin einen Grossteil unserer Wirtschaft in Beschlag zu nehmen. Wir sollten die Zentralisierung, Harmonisierung und Standardisierung des europäischen Kontinents loswerden und unsere Gesellschaft und Wirtschaft dezentralisieren, deregulieren und desubventionieren. Es sollte den Ländern, die Opfer der Europäischen Währungsunion geworden sind, ermöglicht werden, auszutreten und wieder zu ihren eigenen Währungsarrangements zurückzukehren. Und wir sollten Dinge wie eine europäische Steuerunion vergessen, nicht zu reden von antidemokratischen Ambitionen, Europa politisch zu einigen. Wir sollten zur Demokratie zurückkehren, die einzig auf der Ebene der Nationalstaaten existieren kann und nicht auf der Ebene des ganzen Kontinents. Eine ernsthafte Diskussion dieser Themen ist überfällig.

Václav Klaus, Basler Zeitung, 5. 5. 2012

Auszug aus der Rede des Präsidenten in Bruges Group in London. Publiziert in Daily Telegraph am 4. Mai 2012. Übersetzung aus Englisch: Hanspeter Born.

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