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Deutsche Seiten, 24. 8. 2011
Dr. Busek hat für diesen Abend und für meine heutige Ansprache das Thema „Ein Leben in Transformation“ gewählt. Ich muss zugeben, dass ich – irgendwann im Frühling – nicht dagegen protestiert habe. Jetzt – ein paar Monate später – bin ich mir nicht mehr sicher, ob diese Wortkombination geeignet ist. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, meine Ansprache als „Ein Leben in einer sich radikal verändernden Gesellschaft" zu nennen.
Die äußeren Umstände haben mein Leben in einigen Perioden limitiert, kompliziert und blockiert, in anderen einfacher, reicher und produktiver gemacht, aber immer war das mein Leben und immer – sogar in den dunkelsten kommunistischen Tagen – hatte ich die Möglichkeit zu reagieren, verschiedene Entscheidungen zu treffen und mein Leben zu realisieren.
Ein Volkswirt in mir würde sagen, dass ich immer die utility (den Nutzen) maximalisierte, selbstverständlich „under given constraints“ (unter gegebenen Bedingungen). Die äußeren Umstände haben mir manchmal geholfen, manchmal haben sie mich beschädigt.
Ich wurde in Prag während der Zeit des zweiten Weltkriegs geboren, war aber zu klein, um die tragische Situation in dem damaligen Protektorat Böhmen und Mähren zu verstehen. Als Kind konnte ich jedoch die Angst und Beklemmung erkennen, die sich in den Augen meiner Eltern spiegelten, vor allem in verschiedenen dramatischen Momenten – während der Hausdurchsuchungen und der Aufenthalte im Luftschutzkeller.
Mein Schulbeginn war ein halbes Jahr vor dem kommunistischen Putsch, zu dem es bei uns im Februar 1948 gekommen ist. Die meisten Lehrer an der Grundschule gehörten zum Glück noch zu der „alten Generation“ und der Unterricht war noch nicht so ideologisiert wie in den späteren Jahren. Politisch und menschlich waren aber die 50er Jahre ohne jeglichen Zweifel die schlechtesten. Ein Satz genügte zur Entlassung aus der Arbeit, oder sogar zur Verhaftung, Hunderttausende wurden ins Gefängnis geschickt, Hunderte oder Tausende sind ums Leben gekommen.
Das Erwachsenenalter hat meine Generation schon in einer ein bisschen “gelockerten“ Etappe der kommunistischen Ära erreicht. Die Matura habe ich im Jahre 1958 absolviert. Die folgenden Universitätsjahre an der Prager Hochschule für Ökonomie wurden noch stark ideologisch indoktriniert, aber die Studenten begannen bereits zu dieser Zeit den Professoren unangenehme Fragen zu stellen.
Die zentral geplante Wirtschaft hatte bei uns gerade in dieser Zeit unerwartet große Probleme. Das Wirtschaftswachstum im Jahre 1961 zeigte in der Tschechoslowakei – zum ersten Mal in einem kommunistischen Land (mit der Ausnahme von Kriegsjahren) – die negativen Zahlen. Das ermöglichte die relativ scharfe Kritik nicht nur des Wirtschaftssystems, sondern auch anderer Aspekten des gesellschaftlichen Lebens. Die Hauptstelle der Kritik und der nachfolgenden Vorbereitung der – für diese Zeit – relativ weitgehenden Wirtschaftsreformen war das Volkswirtschaftsinstitut der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften wo ich als Doktorand gearbeitet habe. Der damalige Reformversuch, die Kombination von Plan und Markt, der sogenannte Dritte Weg, habe ich schon damals als falsch, unrealistisch und nicht funktionsfähig kritisiert. Der Vater dieser Reform, der tschechische Volkswirt Ota Šik, war auch in Österreich in dieser Zeit gut bekannt und hatte hier viele Anhänger, die die ähnlichen Theorien und die Konvergenz der existierenden Wirtschaftssysteme propagiert haben.
Meine Aktivitäten in diesem Institut haben mich schon damals nach Alpbach gebracht. Zum ersten Mal war ich hier im August 1968, gerade im Moment der Invasion der Armeen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei. Sie kamen, um die angebliche Kontrarevolution bei uns aufzuhalten. Die Nachricht über die Invasion habe ich am Morgen, den 21. August, ein paar Meter vor dem Hotel Böglerhof gehört.
Nach ein paar Tagen voller Unsicherheit, Wartens und Nachdenkens in Alpbach, musste ich eine schwierige Entscheidung treffen: in meine besetzte Heimat zurückzukehren oder die Position eines Akademikers hier oder irgendwo im Westen zu suchen. Meine damalige Entscheidung war eindeutig und auch aus heutiger Sicht das einzig Richtige. Ich wollte in meinem, schwer geprüften Land bleiben, um dort etwas Positives zu machen.
Sehr bald nach meiner Rückkehr wurde ich von der Akademie der Wissenschaften entlassen, meine Tätigkeit an der Universität wurde zu Ende gebracht und meine Publikationschancen standen fast auf Null. Die Hauptzeitung der Kommunistischen Partei „Rudé Právo“ schrieb, dass ich der führende antimarxistische Ökonom im Lande bin, was damals fast ein Verbrechen war.
Der Kommunismus dauerte danach noch 20 Jahre. In dieser frustrierenden Zeit haben wir zum Glück nicht geschlafen sondern haben uns auf verschiedene Weise auf den Fall des Kommunismus vorbereitet. Ab Mitte der 80er Jahre sind neue Reformhoffnungen angetreten und es wurden die ersten Reformmaßnahmen eingeführt. Wie sie vielleicht alle noch wissen, die endgültige Wende kam im November 1989. Der Anfang der radikalen gesellschaftlichen Transformation war bei uns relativ erfolgreich, da manche von uns vorbereitet waren.
Seit dieser Zeit bin ich schon fast 22 Jahre in der Politik – als Finanzminister, Parteigründer und Parteichef, Ministerpräsident, Parlamentspräsident und Staatspräsident. In diesen Jahren war ich mehrmals hier in Alpbach. Die Gesellschaft, in welcher ich jetzt lebe, ist unvergleichbar besser als die in der Vergangenheit. Trotzdem sind wir nicht am Ende unseres Weges. Kommunismus ist passè, es entstanden aber neue gefährliche Ideologien, welche wieder versuchen, unsere Freiheit zu limitieren und zu blockieren.[1] Sie bedrohen momentan noch nicht die physische Seite des menschlichen Lebens, sie beginnen aber ähnlich untolerant zu sein gegenüber Meinungsunterschieden, gegenüber der „conventional wisdom“ nicht geprägten Ideen und politischen Haltungen, wie es in den Zeiten des Kommunismus war. Ich empfinde es sehr stark.
Der Streit der Ideen geht weiter. Ich war immer davon überzeugt, dass Alpbach die offene, mit der politischen Korrektheit nicht vernichtete Debatte ermöglicht und unterstützt. Nur deshalb bin ich hier, nur deshalb werde ich – trotz meiner oft politisch nicht korrekten Ideen – immer wieder eingeladen. Ich schätze es sehr hoch.
Václav Klaus, Rede an dem Europäischen Forum Alpbach, Alpbach, Österreich, 23. August 2011
[1] Zum letzten Mal habe ich darüber vor einem Monat in Australien gesprochen: „Threats to Freedom in the 21st Century“ („Die Freiheitsbedrohungen im 21. Jahrhundert“), Institute of Public Affairs, Perth, Australia, 22. Juli 2011; www.klaus.cz/clanky/2888.
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