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Deutsche Seiten, 30. 5. 2011
erlauben Sie mir, dass ich Sie an diesem Ort der Pietät – wie bereits mehrere Male – auch in diesem Jahr begrüße, um mit Ihnen zusammen an das Leiden zu erinnern, dem hier in Theresienstadt in der Zeit der nationalsozialistischen Okkupation unsere jüdischen Mitbürger ausgesetzt waren. Dieses schreckliche Lager durchliefen mehr als 150.000 von ihnen. 35.000 fanden direkt hier den Tod und für zehntausende Weitere wurde Theresienstadt zur Umsteigestation auf dem Weg in die Vernichtungslager, aus denen viele von ihnen nicht zurückkamen.
Wir stehen an einem Ort, der vom Bösen gekennzeichnet ist, nicht von einem abstrakten und unpersönlichen Bösen, sondern vom Bösen, das Menschen Menschen angetan haben, konkrete Menschen konkreten Menschen. Immer wieder fragen wir uns, wie das alles überhaupt möglich gewesen ist und was in den tragischen Jahren mit den Menschen geschehen ist. Es bleibt auch die Frage, was man machen muss, damit sich so etwas nie wieder wiederholen kann.
Damals war Krieg, in dem Millionen Menschen gestorben sind. Ein Krieg voll von Grausamkeiten, Morden und unermesslichem Leid. Ein Krieg, der einen großen Teil Europas zerstört hat. Aber das, an das wir an diesem Ort erinnern, übersteigt durch seine Ungeheuerlichkeit die Tragödie des Krieges. Wie ein Nebenprodukt des Weltkriegs wurde hier – als Bestandteil der offiziellen Politik des NS-Staates – das Projekt der Ermordung von Millionen Juden verwirklicht. Ein Projekt, das kühl, methodisch und planmäßig verwirklicht wurde. Mit Absicht betone ich das Wort „Projekt“.
Gerade in ihm liegt die Einzigartigkeit und – hoffentlich – die Unwiederholbarkeit der nazistischen „Endlösung“ der sog. Judenfrage. Es handelte sich nicht um kurzzeitige Auswüchse einer massenhaften Bestialität und Grausamkeit, wie sie sich in der Vergangenheit in Pogromen geäußert haben, es handelte sich nicht um Exzesse sadistischer Fanatiker, die in hasserfülltem Affekt mordeten. Die Monstrosität dieses Projekts bestand darin, dass zum ersten Mal in der Geschichte das massenhafte industrielle Ermorden einer ganzen Bevölkerungsgruppe zum Programm eines Staates wurde, der es unter voller Ausnutzung der staatlichen Bürokratie und amtlicher Maßnahmen verwirklichte, ähnlich wie er die Kriegsproduktion oder die Versorgung der Bevölkerung organisierte. Es ging um einen integralen Teil der Staatspolitik, geplant und geleitet durch die Führung des nazistischen Deutschlands.
Millionen unschuldiger Opfer, ihre Misshandlung durch sadistische Verbrecher in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, Sklavenarbeit, monströse Versuche an Menschen, das alles hat eine Ideologie verursacht, der sich die Macht eines modernen Staates untergeordnet hat. Nur deshalb konnte sich das Böse, das – wie sich deutlich gezeigt hat – immanent im menschlichen Charakter verborgen ist, so brutal äußern und nur deswegen konnte es lange Zeit verborgen bleiben hinter grauen amtlichen Akten und Aufzeichnungen, mit Hilfe derer die Realisierung dieses „Projekts“ kühl vorbereitet und dokumentiert worden ist.
Manch einem mag es scheinen, dass es heute, 66 Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs, bereits unnötig ist, über die Schrecken, die sich während des Krieges und unmittelbar nach ihm ereignet haben, im Ganzen ihrer Kausalität und Kompliziertheit zu sprechen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, denen es unnötig erscheint. Ich bin beunruhigt darüber, dass - mit dem Abstand von nur zwei oder drei Generationen - der Kontext vernebelt und angefangen wird, über Einzelheiten zu reden, die aus den Zusammenhängen gerissen sind. Immer mehr wird betont, dass es auch von tschechischer Seite nach dem Krieg zu Gewalt, Verbrechen und zur Ermordung Unschuldiger gekommen ist, dass es auch unter den Tschechen Sadisten und Verbrecher gab, die Gefangene tyrannisiert haben, Roma oder Deutsche. Ja, unzweifelhaft war das in einer Reihe von Fällen so. Und darüber kann man nicht schweigen. Diese individuellen Verbrechen müssen benannt, verurteilt und auch erinnert werden. Wir müssen über sie Bescheid wissen und wenn wir uns selbst verstehen wollen, müssen wir fähig sein, auch die Schmerzen ihrer Opfer zu begreifen.
Wir müssen aber grundsätzlich unterscheiden. Wir dürfen nicht zulassen, dass individuelle, nicht vom Staat organisierte und kaltblütig projektierte Verbrechen, die während des Krieges und auch in der Nachkriegszeit passiert sind, in den Gedanken der Generationen, die diese Zeiten nicht erlebt haben, das Verstehen der Ursachen und der Folgen der damaligen Ereignisse löschen. Der Genozid an den Juden und die NS-Pläne zur Liquidierung des tschechischen Volkes können nicht relativiert werden. Versuche einer Symmetrierung der Schuld der Aggressoren und ihrer Opfer kann man nicht zulassen. Man darf nicht vergessen, wer den Rassen- und Nationalhass entfaltet hat, wer ihn zur offiziellen Staatspolitik gemacht und wer ihn mit beispielloser Brutalität auf fanatische Weise bis zum Ende durchgeführt hat.
Es ist unsere Pflicht, die historische Wahrheit zu schützen. Es ist unsere Pflicht, die Demokratie und die humanistischen Ideale, auf die unsere Zivilisation gründet, zu schützen. Nur so können wir sicherstellen, dass die Tragödie, an die wir hier jedes Jahr erinnern, nur noch eine schreckliche, traurige und sehr belehrende Vergangenheit ist.
Václav Klaus, Gedenkfeier in Theresienstadt, Nationalfriedhof in Theresienstadt, 15. Mai 2011
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