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Deutsche Seiten, 21. 1. 1997
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Herren Minister, verehrte Gäste,
wir haben soeben die tschechisch-deutsche Erklärung unterzeichnet, ein Dokument, das nahezu zwei Jahre lang sorgfältig und verantwortungsbewußt vorbereitet wurde. Ein Dokument, dessen Ziel es war, einige Mißverständnisse, Unverständnisse, Unklarheiten und Unrechtsgefühle in unseren beiden Ländern zu beseitigen, ein Dokument, das Ausdruck des guten Willens auf beiden Seiten ist, ein Dokument, das zu einer neuen Qualität der tschechisch-deutschen Beziehungen in der Gegenwart und vor allem in der zukunft beitragen soll.
Ich bin überzeugt davon, daß die Erklärung die Absichten, die beide Seiten bei ihrer Vorbereitung verfolgten, erfüllt. Sie ist ein ausgewogener Text. Sie ist ein Text, der durch Verhandlungen zweier souveräner Staaten entstand, und deshalb kann sie kein einseitiger Text sein und auch kein Text, der nur eine von beiden Seiten befriedigt. Genauso muß dieser Text gelesen und gewertet werden. Ich möchte alle bitten, so vorzugehen. Auch die jenigen, die eine Reihe von Gründen haben, eine einseitigere Seite einzunehmen. Ich würde es ebenso als sehr unglücklich bezeichnen, wenn wir uns nun, das heißt unmittelbar nach der Unterzeichnung der Erklärung, darum bemühen würden, etwas Neues, Anderes, Weiteres zu sagen, etwas, das die arbeitsaufwendig vereinbarte Erklärung in eine andere Richtung verschieben würde. Ich habe nicht vor, so etwas während meines Auftritts zu tun.
Die tschechisch-deutschen Beziehungen haben eine mehr als tausendjährige Tradition, und unsere Vorfahren haben währenddessen sowohl Gutes als auch Böses erlebt. Während der meisten komplizierten Augenblicke unserer gemeinsamen Geschichte überwog am Ende die beiderseitige Fähigkeit, ein fruchtbares und produktives Zusammenleben zu finden, das Tschechen und Deutsche bereicherte. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht um eine originelle Reinterpretation der Geschichte unserer gegenseitigen Beziehungen bemühen, übrigens steht das einem Politiker nicht einmal zu, ich möchte nicht an Dinge erinnern, über die wir Tschechen uns gefreut haben, aber auch nicht an Dinge, die wir lieber vergessen würden. Ich würde mir wünschen, daß wir in der Gegenwart fähig sind, an jenen großen geistigen und materiellen Reichtum anzuknüpfen, den das Zusammenleben unserer Völker in der Vergangenheit mit sich brachte, und ich möchte betonen, daß die tschechische Seite sich des Beitrags Deutschlands und der Deutschen, die auf unserem Gebiet leben, sehr wohl bewußt ist und daß sie nicht die geringste Absicht hat, ihn anzuzweifeln oder zu schmälern. An viele dieser Dinge hat gerade eben Bundeskanzler Helmut Kohl erinnert und daher muß ich sie nicht wiederholen. Zusammenhänge und Verbindungen gibt es in der Geschichte unserer Länder viele. Zum Beispiel zeichnete Hus und seine Bewegung in den Böhmischen Ländern die deutsche Reformation vor, auch brach der dreißigjährige Krieg bei uns aus und zerstörte lange Jahrzehnte vor allem Deutschland, der Untergang der deutschen Demokratie zwischen den Weltkriegen brachte auch der hoffnungsvollen tschechoslowakischen Demokratie ein rasches Ende, die Stabilität und Stärke der deutschen Nachkriegsdemokratie trug zum Fall des kommunistischen Regimes auch bei uns bei, und der Fall des Kommunismus ermöglichte wiederum die langersehnte Wiedervereinigung Deutschlands. Und so könnte ich sicherlich noch weiter fortfahren.
Unsere Generationen wissen gut, daß sich die tschechisch-deutschen Beziehungen gerade in jenem Jahrhundert, das wir durchleben, außergewöhnlich verflochten und verkompliziert haben, in einem Jahrhundert, das durch zwei grauenvolle Weltkriege und durch das Entstehen - und zum Glück auch den Untergang - zweier grauenhafter totalitärer Regime, des Faschismus und des Kommunismus, charakterisiert wurde. Die tschechisch-deutschen Beziehungen im zwangzigsten Jahrhundert waren bis zu einem gewissen Grad die Folge dieser Erscheinungen, sie waren sicherlich nicht ihre Ursache. Daher glaube ich daran, daß der Friedensprozeß in Europa und der Welt, zu dem in bedeutendem Maße der gegenwärtige europäische Integrationsprozeß, das Ende des Kommunismus und das mit ihm verbundene Ende der Aufteilung der Welt in zwei feindliche Blöcke sowie der verhältnimäßig erfolgreiche Transformationsprozeß in den meisten ehemaligen kommunistischen Ländern beitragen, einen ganz anderen, weitaus positiveren Rahmen auch für die Zukunft der tschechisch-deutschen Beziehungen schafft.
Auch die unmittelbar vergangenen Jahrzehnte gönnten uns keine besseren tschechisch-deutschen Beziehungen, denn die damalige geopolitische Situation schloß praktisch jede Art von Initiative aus. Der Zustand währte bis November 1989, nach ihm kam es sowohl im quantitativen als auch im qualitativen Sinn zu einem nicht dagewesenen Aufschwung unserer gegenseitigen Beziehungen. Viele betrachten das heutige tschechisch-deutsche Verhältnis als eines der besten in der bisherigen Geschichte. Jeder von uns erinnert sich an die historischen Augenblicke, als die Stacheldrähte an unseren Grenzen durchschnitten wurden, an die ersten neugierigen Ausflüge tschechischer Bürger in deutsche Grenzstädte, an die vollen Busse mit deutschen Touristen, die nach Prag und in andere Orte unseres Landes fuhren, daran, daß die erste Reise des neu gewählten Präsidenten unseres freien Landes ausgerechnet nach Deutschland führte, und genauso erinnern wir uns alle an die Worte, die er dort sprach.
Dennoch war noch nicht alles beendet. Die nationalsozialistische Okkupation unseres Landes und der Terror sowie die Gewaltherrschaft unserer Bürger, die damit verbunden war, haben ein Trauma hervorgerufen, das das tschechische Volk schwer traf. Nach der Beendigung der Okkupation ist etwas geschehen, für das wir keinen Begriff finden können, der beide Seiten zufriedenstellen könnte. Jedenfalls, wie auch immer wir das nennen möchten, ist es zur Aussiedlung des Großteils der deutschen Bevölkerung aus dem Gebiet der damaligen Tschechoslowakei gekommen, die wiederum Unrecht bedeutete und vielen unschuldigen Menschen auf deutscher Seite Leid und Unrecht brachte. Das alles zog einen tiefen Graben zwischen beiden Völkern. Auf beiden Seiten blieben Gefühle eines bestimmten historischen, durch die andere Seite verursachten Unrechts, auf beiden Seiten überdauerte das Gefühl, daß es notwendig sei, daß hauptsächlich die anderen darüber klare, für immer gültige Worte aussprächen.
Der Umfang, die Ursachen und Folgen dieser empfundenen Unrechte sind selbstverständlich unterschiedlich und sicherlich nicht symmetrisch (in dem Maße, daß wir sagen könnten, daß sie sich gegenseitig „aufheben“ oder eine „Null gegen eine andere aufrechnen“). Über diese Unrechte und die hieraus resultierenden Gefühle können und werden sicherlich noch weitere Diskussionen führen. Es wäre nämlich keinesfalls wünschenswert und für niemanden vorteilhaft, wenn wir diese Dinge vergessen würden, wenn die Generationen, die sie nicht erlebt haben, niemals etwas darüber erfahren und nicht die Gelegenheit hätten, daraus zu lernen. Vor kurzem habe ich nochmals die Ansprache von Bundeskanzler Kohl gelesen, die er vor zwei Jahren in Holland an der Rotterdamer Universität 50 Jahre nach Kriegsende hielt, und ich stimme völlig mit ihm überein, wenn er sagt: „Wir wollen dieses Leiden und Sterben, den Schmerz und die Tränen nicht vergessen. Das schulden wir den Opfern“. Zugleich sagt er aber auch: „Wir dürfen jedoch nicht gefangene der Vergangenheit bleiben - sonst hätte die Vergangenheit letzlich gesiegt“.
So sehe auch ich es. Wir dürfen nicht vergessen, aber wir dürfen auch nicht zulassen, daß die manchmal tragische Vergangenheit für immer die Zukunft der nachbarschaftlichen Beziehungen unserer Länder verkompliziert. Gerade davon handelt die heute unterzeichnete tschechisch-deutsche Erklärung. Es handelt sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag und durch sie wird auch keinesfalls die sehr breite Vertragsgrundlage, die zwischen unseren beiden Staaten existiert, verändert. Sie ist eine klare, verständliche, in gewissem Sinne auch mutige und daher resolute beiderseitige Erklärung darüber, wie wir die Vergangenheit sehen und vor allem wie wir uns die Zukunft wünschen. Sie ist auch eine bestimmte politische Verpflichtung. Aus all diesen Gründen betrachte ich die Vorbereitung der Erklärung und ihre heutige Unterzeichnung als Erfolg, und zwar als Erfolg für uns alle.
Die Erklärung unterscheidet klar und deutlich Ursachen und Wirkungen der Ereignisse, die dem zweiten Weltkrieg und der nationalsozialistischen Okkupation, deren Verbrechen in ihr deutlich verurteilt werden, vorausgegangen sind und sie spricht über Ereignisse, die nach ihr kamen. Sie sagt klar und deutlich, wer diese Dinge verursacht hat. Sie spricht klar und deutlich auch von unserem eigenen Beitrag zu den Gefühlen des Unrechts zwischen beiden Völkern, uns ich bin überzeugt davon, daß dies auch notwendig war. Das ist etwas, was wir bei uns, in der Tschechischen Republik, bislang wenig zuließen und worüber wir untereinender wenig sprachen. Wir bedauern, daß durch die mit dem Zweiten Weltkrieg verbundenen Ereignisse, ein Jahrhunderte dauernder Abschnitt des Zusamenlebens der tschechischen und deutschen, aber auch der jüdischen Bevölkerung auf unserem Gebiet zu Ende ging, und daß dieses fruchtbare Zusamenleben zu einer unwiederbringlichen Vergangenheit wurde.
Die Erklärung geht von der Unwandelbarkeit und Unveränderlichkeit der demokratischen Prinzipien der Nachkriegsordnung in Europa aus, die Kontinuität der tschechischen Rechtsordnung wird in ihr respektiert sowie die gegenwärtige Realität der Tschechischen Republik und alle grundlegenden Sicherheiten unserer Bürger im Bereich des Rechts, Besitzes und Eigentums. Der Text verbirgt nicht, daß die Ansichten zu einigen Fragen in beiden Ländern unterschiedlich bleiben, doch er beinhaltet die Verpflichtung beider Seiten, daß sie ihre weiteren gegenseitigen Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.
Gerade dies ist der Schwerpunkt der Erklärung und hierin liegt ihr Sinn. Ihre Verfasser, und ich mit ihnen, glauben, daß dadurch aus den Beziehungen zwischen unseren Ländern das beseitigt werden kann, was die Quelle von Verdächtigungen, Mißtrauen und Befürchtungen war. Das ständige Eingeständnis oder die Ablehnung von Schuld auf der einen oder anderen Seite sollte aufhören und die Konzentration auf das, was die tschechisch-deutschen Beziehungen heute wirklich charakterisiert, sollte das Übergewicht haben. Und das ist die umfangreiche, schnell wachsende, allseitige Zusammenarbeit und das gemeinsame Interesse an der Schaffung einer neuen Ebene des Vertrauens zwischen beiden Ländern. Über die Unterzeichnung der Erkärung können sich all diejenigen freuen, denen die Zukunft unseres Landes und seine gute internationale politische Stellung am Herzen liegt. All diejenigen können sich über die Unterzeichnung freuen, die Interesse an gegenseitigen unkomplizierten Beziehungen beider Länder haben. Enttäuscht können - auf beiden Seiten - diejenigen sein, die ihre politische Karriere auf der Schaffung einer Atmosphäre des Mißtrauens, der Befürchtungen und Ansprüche begründet haben und die die überlebenden Probleme der Vergangenheit ganze Jahre oder Jahrzehnte politisch mißbraucht haben.
Ich bin überzeugt davon, daß die Bürger und alle verantwortungsbewußten politischen Kräfte unserer beiden Länder, sowohl in der Tschechischen Republik als auch in der Bundesrepublik Deutschland, die Bedeutung der tschechisch-deutschen Erklärung verstehen, daß sie die kurzsichtigen und kurzatmigen parteipolitischen Auseinandersetzungen vergessen, daß sie den vorgelegten Text unterstützen und daß sie nicht versuchen werden, ihn bei der parlamentarischen Beratung mit solchen Beschlüssen oder Begleittexten, die den eigentlichen Text der Deklaration relativieren und unbedeutend machen würden, zu ergänzen. Die Verabschiedung der Erklärung in den Parlamenten beider Länder wird ein verantwortungsvoller Schritt zugunsten der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, zugunsten der Bürger beider Länder, zugunsten einer produktiven europäischen Zusammenarbeit sein.
Sie, Herr Bundeskanzler, als überzeugter Europäer, der dennoch nicht aufgehört hat, ein deutscher Patriot zu sein ebenso wie wir tschechische Patrioten geblieben sind, verstehen mich sicherlich. Wir haben Ihre unermüdlichen Bemühungen um die Verwirklichung der europäischen Integration verfolgt und werden sie weiterhin verfolgen. Wir wissen, daß Sie ein Befürworter der Erweiterung der Europäischen Union und der Nordatlantischen Allianz sind. Wir sind Ihnen dankbar für die Unterstützung unserer Bemühungen, gemeinsam mit Ihnen und weiteren demokratischen Staaten am Bau eines prosperierenden, stabilen und sicheren Europas teilzunehmen.
Ich bin froh darüber, daß ich die Erklärung im Namen der Regierung der Tschechischen Republik, und ich glaube auch aller tschechischen Bürger, unterzeichnen konnte, und ich danke dem Bundeskanzler Helmut Kohl für seinen wichtigen persönlichen Beitrag zu ihrem Abschluß, und ich drücke die Überzeugung aus, daß sein heutiger Besuch in Prag eine neue Etappe der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern einläutet.
Václav Klaus, Prag, 21. Januar 1997
(inoffizielle Übersetzung)
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