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Deutsche Seiten, 24. 6. 2000
Hier in Wachau und auf diesem Forum bin ich zum ersten Mal. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass dieser Jahrgang des Forums anders als alle vorangegangenen Jahrgänge sein wird. Der Grund dafür ist mehr oder weniger klar. Wie wir alle wissen, fanden im vergangenen Jahr in Österreich die lange erwarteten Parlamentswahlen statt, die - zumindest aus meiner Sicht - normal verlaufen sind (wie alle vorherigen Wahlen). An den Wahlen haben politische Parteien mit verschiedenen ideologischen Meinungen teilgenommen, Parteien, die in Österreich ihre Tradition haben, allen bekannt sind und bereits lange existieren. Diese Parteien gefallen manchen von uns mehr, anderen wiederum weniger, die einen würden sie wählen, die anderen nicht. Auf jeden Fall handelte es sich aber um Parteien, deren Anspruch, am demokratischen Kampf um Wählerstimmen teilzunehmen, niemand in Frage stellt. Weder in Österreich noch im Ausland.
Die Wahlen haben ein Ergebnis gebracht, das nicht alle zufrieden gestellt hat, aber so ist das schon mal bei den Wahlen. Neu war vielleicht nur, dass sich eine Partei, die über Jahrzehnte auf der politischen Sonnenseite stand, überraschend - insbesondere für sich selbst - außerhalb der neuen Regierungskoalition gefunden hat. Auch das ist vollkommen normal und jeder von uns, der Politiker war oder noch ist, hat das mehr als einmal am eigenen Leib erlebt.
Neu war auch, dass die aus diesen Wahlen entstandene österreichische Regierung mehreren Regierungen der Länder der Europäischen Union nicht gefiel und bis heute nicht gefällt, und zwar insbesondere denen, die ideologisch mit dieser österreichischen politischen Partei übereinstimmen, die aufgrund der Wahlen ihre Jahrzehnte dauernde Stellung im Lande verloren hat.
Dies scheint mir etwas merkwürdig, jedoch es würde mich kaum stören, wenn es sich um eine isolierte, singuläre Erscheinung handeln würde, der andere, durch ihr Wesen entgegengesetzte Erscheinungen gegenüberstehen würden. Ich befürchte jedoch, dass es im heutigen Europa nicht so ist.
Wir leben in einer besonderen Zeit der europäischen Geschichte. In einer Zeit, in der Nationalstaaten bzw. ihre Souveränität in Frage gestellt werden. Oder anders gesagt, wir leben in einer Zeit, wo die äußeren Standpunkte der eigenen souveränen Entscheidungen der einzelnen Länder über ihre internen Angelegenheiten übergeordnet werden. Die Art und Weise mit der Europäische Union mit Österreich in diesem Jahr umgegangen ist, die Art und Weise mit der die internationale Gemeinschaft mit Jugoslawien im vergangenen Jahr umgegangen ist, aber auch der Umgang der Europäischen Union mit den Beitrittskandidaten aus Mittel- und Osteuropa, über den Umgang mit England in der Zeit der "Mad Cows" ganz zu schweigen, sind ähnlich. In allen diesen Fällen handelt es sich nur auf den ersten Blick um isolierte und in keiner Weise im Zusammenhang stehende Erscheinungen. Ich bin jedoch überzeugt, dass sie alle - bei aller Unterschiedlichkeit - etwas wichtiges gemeinsam haben.
Diese gemeinsame Sache ist der Versuch das Äussere in das Innere der europäischen Länder hineinzutragen. Ganz absichtlich mache ich kein vereinfachtes Werturteil und daher sage ich nicht, ob es sich um richtige oder um falsche Ideen und Positionen handelt, weil das nicht wichtig ist. Es geht darum, dass es sich um Ansichten von konkreten Personen handelt, also um Ansichten, die partiell, zeitlich motiviert und interessengebunden sind. Der Anspruch auf ihre apriorisch angestrebte Universalität, zeitliche Unabhängigkeit und tabuisierende Undiskutierbarkeit, muss klar und deutlich abgelehnt werden. Falls uns die Geschichte gerade über solche Ansprüche nicht ausreichend belehrt hat, sollten wir uns ihr mehr widmen, da wir sie ansonsten neu erleben müssten.
Europa steht daher heute an einer Kreuzung. Sie ist dort aufgrund der Kummulation einer ganzen Reihe von Prozessen gelangt, die sicherlich nicht alle neu sind, da sie alle unter der Oberfläche schon längere Zeit existieren. Neu ist ihr synergistischer Effekt. In dieser kurzen Rede kann ich leider nur andeuten, um welche Prozesse es sich aus meiner Sicht handelt. Zu diesen Prozessen zählen:
- Kollaps des Kommunismus (und bewußt benutze ich das Wort Kollaps und nicht das Wort Niederlage), der zu einem allgemeinen Verlust der Aufmerksamkeit und Wachsamkeit geführt hat. Gerade dies bewirkte, dass das hoffnungsvolle Ende eines linken Abenteuers zu einem so leichten Sieg des Sozialdemokratismus und verschiedener dritter Wege führte, die natürlich nichts anderes als die zweite Wege sind;
- neu geborener und neu verbreiteter Glaube in die Fähigkeit der internationalen intellektuellen Elite (und der an sie angeknüpften staatlichen Bürokratie) "Besitzerin der Wahrheit, der Vernunft und des Fortschritts" zu sein und der Glaube in ihre Ausserwähltheit die ihr das Recht gibt, ihre Standpunkte außerhalb von demokratischen politischen Mechanismen durchzusetzen;
- Liberalisierung und Öffnung, die das - in vielerlei Hinsicht positive, trotzdem aber sehr dramatische und nicht für jeden gnadevolle - Eindringen von etwas fremdem, anderem, neuem in einen Raum ermöglichten, den ich aufgrund eines fehlenden besseren Begriffs als "intimer Raum" bezeichne, auch wenn es sich um einen intimen Raum größerer Einzeiten als einzelnen Menschen handelt (der Familie, der Kommunität, des Volkes);
- verschiedenste kosmopolitische, Integrations- und globalisierende Tendenzen, die die ewige, aber immer wieder neue und wiederholte menschliche Suche nach der eigenen Identität dramatisieren und die Ängste aller schwächeren oder "nur" kleineren verstärkt haben;
- beschleunigte Unifizierungstendenzen in Europa, die ohne die Unterstützung und insbesondere ohne die so notwendige Führerschaft großer europäischer Politiker verlaufen, die sie den Europäern die Notwendigkeit der Schwächung des Nationalstaates zu Gunsten des neuen Gesamteuropäismus erläutern könnten;
- Befreiung von durch den Kommunismus unterdrückten Menschen (sowohl einzelner Personen als auch verschiedener Personengruppen und sogar ganzer Völker) und als Folge dieser neuen Freiheit "Zerbröckeln" von Staaten und grosse, wichtige Veränderungen der (nach dem I. und II. Weltkrieg entstandenen) Grenzen von Staaten in Europa;
- radikale Erhöhung der Mobilität der Arbeitskräfte zwischen den einzelnen europäischen und auch nichteuropäischen Ländern und dadurch auch Anstieg von Unsicherheit bei den Bürgern, Ihre Unruhe und Bedrohung. Diese Gefühle existieren, ob wir dies wollen oder nicht, ob wir darüber sprechen oder nicht, ob unsere Rhetorik mancher als “politically correct” oder auch “politically incorrect” bezeichnet. Diese Mobilität wird durch die allgemeine Liberalisierung ermöglicht, aber ihr Ursprung ist in der Diskrepanz der Struktur der Arbeitsnachfrage und des Arbeitsangebots, die dadurch charakterisiert ist, daß die Arbeitsnachfrage in den “reichen” Ländern Europas nicht dem in diesen Ländern generierten Arbeitsangebot entspricht;
- Tatsache, dass die Ära der Emanzipation der Frauen, des Feminismus und verschiedener modischer Konventionen über die Rechte von Kindern aufgebrochen hat, aber gleichzeitig kommt es zur evidenten offensichtlichen Erosion des klassischen Modells der Familie, das bislang zu den Grundprinzipien der Gesellschaft gehörte;
- Entstehung und Verbreitung von ehrgeizigen “planetaren” Sichtweisen, aber gleichzeitig völliger Verlust gemeinsamer Themen, gemeinsamer Betrachtungsweisen und universell geltender Werte;
- schrittweise Durchsetzung eines ziemlich “permissive value system”, das zur Verlust jeglicher Ordnung und dadurch auch der so notwendigen Kohärenz der heutigen europäischen Gesellschaft führt;
- verstärkte Ansprüche und Aktivitäten eines aggressiven Ekologismus, der gegen jegliche rationale Grundlagen der menschlichen Aktivitäten gerichtet ist;
- Internet, modisch fetischisiert als allgemeines “Verbindungsglied”, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Erfindung handelt, die die Menschen mehr trennt und isoliert als zusammenführt.
Mit etwas Übertreibung könnte gesagt werden, dass dank allen diesen Erscheinungen unsere Zeit eine Zeit der parallelen Integration und Desintegration, der nominalen Integration und realen Desintegration, der Integration in Makrodimensionen, jedoch der Desintegration in der Mikrowelt ist.
Der heutige europäische Integrationsprozeß verläuft nicht außerhalb dieser Prozesse. Er ist ihr Bestandteil, er ist sowohl ihr Ergebnis als auch ihre Ursache. Auf der Seite der Beitrittskandidaten sehe ich ein klares und einseitiges Interesse, ich sehe aber ein sich erheblich unterscheidendes Interesse auf der Seite der heutigen Mitgliedsländer. Ich sehe auch eine sehr unterschiedliche Interessenslage der heutigen “Eurokratie” und der normalen Einwohner Europas. Ich sehe das ernste Interesse der Beitrittskandidaten an einer authentischen Beteiligung am europäischen Integrationsprozeß (und große Furcht vor einer möglichen Aussperrung), sehe aber auch gute Gründe der heutigen Mitgliedsstaaten für die Beibehaltung des status quo, der es ihnen möglich macht, die Folgen ihrer heutigen komparativen Vorteile zu maximalisieren, die sich sowohl aus ihrer wirtschaftlichen Kraft als auch aus ihrem administrativen Übergewicht ergeben. Ich sehe auch die unzulängliche institutionelle Vorbereitung der EU auf ihre Erweiterung.
Dies alles sind reale und faktisch existierende Dinge, die nicht durch wohlgefällige rhetorische Wendungen dieses und jenes mehr oder weniger gewandten europäischen Politikers überdeckt werden sollten. Insbesondere erscheint mir absolut klar, dass sich Europa nicht lange mit dem Projekt seiner Unifizierung zufrieden geben darf, das im besseren Fall nur ein “Ergänzungs-” und im schlechteren Fall nur ein “Ersatz”programm ist. Grundlegendes Programm für die Zukunft Europas muss ihre Desozialisierung und ihre Transformation in Richtung zu den Institutionen der klassischen, alten guten europäischen liberalen Ordnung sein. Nur ein solches Europas ist im 21. Jahrhundert anstrebenswert.
Dies alles hat sicher auch seine tschechisch-österreichische Dimension. Bei der Ausarbeitung dieses Textes habe ich unsere gemeinsamen Beziehungen vom Zerfalls der Habsburger Monarchie, über die zwanziger und dreißiger Jahre, die Zeit des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges, die schwierige Nachkriegszeit, die Ära des Kommunismus und des Kalten Krieges bis hin zum hoffnungsvollen letzten Jahrzehnt rekapituliert. Mit Recht kann gesagt werden, dass die heutigen Beziehungen besser, gleichberechtigter und im gewissen Sinne tiefer als je zuvor sind. Es wäre gut, wenn wir uns dies alles vor Augen führen, um zu gewährleisten, dass es auch in Zukunft so bleibt.
Daher ist es erforderlich, dass wir jetzt, im Jahre 2000, nicht anfangen, die Vergangenheit zu reparieren, da sie weder zu reparieren ist, noch kann sie verändert werden. Dies betrifft natürlich die weite und auch die nahe Vergangenheit und dies betrifft auch die mehr als ein halbes Jahrhundert alte Ereignisse der Zeit des Faschismus, des Zweiten Weltkrieges und der Zeit unmittelbar danach. Keines dieser Ereignisse kann heute neu und besser durchlebt werden. Insbesondere kann kein ein Ereignis herausgerissen und nur einseitig etwas mit ihm gemacht werden. Versuche, dies zu tun oder zu verlangen, beunruhigen die Bürger der Tschechischen Republik mit Recht, und ich würde mir sehr wünschen, dass die tschechisch-österreichischen Beziehungen in der Zukunft durch diese absolut unproduktiven Komplikationen nicht mehr belastet werden. Die gesamte Welt und natürlich auch die tschechisch-österreichischen Beziehungen wären ohne Faschismus und Kommunismus vollkommen anders verlaufen, als es der Fall war, aber diese historischen Ereignisse sind geschehen und wir können sie nicht aus der Geschichte streichen. Dies betrifft natürlich auch alle anderen Dinge im menschlichen Leben, sicher nicht nur die Beziehungen zwischen Völkern.
Auch unsere heutigen partnerschaftlichen und nachbarschaftlichen Beziehungen müssen ohne Vorurteile verlaufen, ohne aprioristische Anforderungen und unter Respektierung dessen, dass beide Länder ihre komparativen Vorteile suchen und durchsetzen und ihre eigenen, geerbten oder neu entstandenen Probleme lösen. Die Energiesituation und die sich daraus ergebene Energiepolitik der Tschechischen Republik ist notwendigerweise und unausweichlich eine andere als die österreichische, wofür es viele angenehme und unangenehme, auf jeden Fall jedoch objektive Gründe gibt. Vereinfachte und einseitige Kampagnen über ein südböhmisches Kernkraftwerk sind meiner Ansicht nach unproduktiv. Sie können keine ernsthafte Entscheidung der tschechischen Regierung beeinflussen, aber unsere gemeinsamen nachbarschaftlichen Beziehungen erheblich verschlechtern.
Meine heutige Rede habe ich mit einer Überlegung über die Gefahr der äußeren Eingriffe in die inneren Angelegenheiten einzelner Länder begonnen, oder anders mit einer Überlegung über Dinge, die Österreich gerade in dieser Zeit so ungerecht und überflüssig überschütten. Wir müssen uns bemühen, dass sie sich niemals mehr wiederholen. Wir müssen uns – gemeinsam – bemühen, eine Welt zu schaffen, in der solche Dinge nicht möglich sind. Übrigens, auch darüber wird sicherlich dieses gesamte Europäische Forum diskutieren. Darauf freue ich mich wirklich aufrichtig.
Václav Klaus, Europa Forum Wachau, 24. Juni 2000
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