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Unser heutiges europäisches Problem

Deutsche Seiten, 30. 8. 2004

Auch wenn es alle Europäer nicht wissen, ist das Jahr 2004 für den ganzen europäischen Kontinent in vieler Hinsicht wirklich durchbrechend. Dieses starke Wort benutze ich, obwohl ich weiß, dass kurzfristig und unmittelbar fast nichts passiert ist und auch nichts passieren wird – weder nach der Erweiterung der Europäischen Union um 10 neue Mitgliedsländer, noch nach ihrer Vertiefung durch die Annahme des neuen Verfassungsvertrags. Die langfristigen Effekte dieser Ereignisse sehe ich im Gegenteil als sehr wichtig an.

Zum Thema Erweiterung möchte ich sagen, dass es um die Erweiterung der EU und nicht um die Erweiterung Europas geht. Über Erweiterung Europas sprechen die Europäer, die denken, dass sie – im Sinne von George Orwell – „more equal“ als die Anderen sind. Ihnen sollten wir klar und deutlich sagen, dass sich niemand Europa für sich selbst beanspruchen kann. Der Anspruch dafür kann nicht darin liegen, dass einige früher in der Europäischen Union waren, aber auch nicht darin, dass ihr Zuhause näher zum Brüsseler Zentrum liegt. (Gerade von diesem Gesichtspunkt erscheinen mir die Diskussionen, ob die Türkei zu Europa gehört oder nicht, ganz unkorrekt. Wir sollten nur darüber diskutieren, ob die Türkei in die Europäische Union gehört oder nicht.)  Es gibt keine größeren oder kleineren Europäer und es gibt keine größeren, besseren oder verdienstvolleren europäischen Staaten und Nationen. Vielleicht scheint das manchen als selbstverständlich, ich habe aber Angst, dass es leider nicht so ist.

Die formale Mitgliedschaft in der EU hat den neuen Mitgliedsländern positive Effekte gebracht, wenn auch vielleicht ein wenig andere, als angenommen. Diese Effekte sind mehr symbolisch als real. Im Moment des Beitritts haben die neuen Mitgliedsländer ohne Zweifel eine wichtige politische Anerkennung, eine formale Bestätigung des erreichten Niveaus ihrer heutigen politischen, wirtschaftlichen und gesamten zivilisatorischen Maturität und ihrer Stabilität erhalten. Durch die Mitgliedschaft in der EU werden sie wieder, nach einem halben Jahrhundert Unnormalität, nach einem halben Jahrhundert des Lebens im Kommunismus, zu den normalen europäischen Ländern gezählt. In gewissem Sinne ist ihre EU-Mitgliedschaft – für sie selbst, sowie für den gesamten „Rest of the World“ – ein Signal, dass die Ära der postkommunistischen Transformation definitiv zu Ende gegangen ist und dass es sich in ihrem Fall um Länder handelt, die mit den Ländern Westeuropas bereits institutionell vergleichbar sind.

Sonst sehe ich keine weiteren unmittelbaren Effekte.  Die Öffnung dieser Länder gegenüber den Ländern der EU und ebenso umgekehrt, die Öffnung der EU-Länder gegenüber diesen Ländern, änderte sich am 1. Mai im Prinzip nicht.  Effekte aus der gegenseitigen intensiven Beziehungen wuchsen allmählich seit dem Fall der Berliner Mauer und waren schon lange „verkonsumiert“. Die neuen Mitgliedsländer haben die EU-Legislative, die sogenannte acquis communitaire, bereits in der Zeit vor ihrem Beitritt angenommen, und damit auch das europäische (ursprünglich deutsche oder vielleicht auch österreichische) Modell der sozialen Marktwirtschaft.  Die Annahme der EU-Legislative war Voraussetzung, keinesfalls Folge des Beitritts. Der Residualeffekt der formalen Mitgliedschaft ist deshalb nicht groß.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass die neuen Mitgliedsländer gerade jetzt die Möglichkeit erhalten, die Entscheidungsprozesse innerhalb der EU zu beeinflussen.  Sie sind darauf ungenügend vorbereitet (und werden noch lange in der Rolle von „Juniormitgliedern“ bleiben), es handelt sich bei ihnen um kleine Länder und das demokratische Defizit in der EU macht ihre effektive Teilnahme an den Entscheidungen fast unmöglich.

Für die alten Mitgliedsländer bedeutet diesjährige Erweiterung der EU keine wirkliche Änderung.  In der Ära vor dem Beitritt – glaube ich – überstiegen für diese Länder ihre Erträge aus den Kontakten mit den neuen Ländern ihre Kosten. Nach der Formalisierung der Mitgliedschaft der neuen Länder wird sich für die alten Mitgliedsländer das Kosten-Ertrags-Verhältnis nicht verbessern. Es kann sich sogar relativ verschlechtern.

Das alles ist ohne Zweifel sehr fraglich. Analytisch ist es fast unmöglich, die Auswirkungen der engen Beziehungen zwischen den alten und neuen Mitgliedsländern, die schon mehr als ein Jahrzehnt existieren, von den Effekten, die nach der Erweiterung neu entstehen, zu trennen. Es erhöht sich sicherlich die Konkurrenz um die Unionsgelder. Es verstärkt sich – wenn auch weniger als erwartet – die Migration von Arbeitskräften in Richtung der reicheren Länder.  Es „wagen“ sich erst jetzt einige – bis heute vorsichtige – Westeuropäer und kommen zum ersten Mal als Touristen, als Geschäftsleute, als Investoren in die neuen Mitgliedsländer.  Bestimmt verstärkt sich der kulturelle und der zivilisatorische Austausch, aber diese Phänomene können wir nicht in Ziffern ausdrücken.

Diesjährige Erweiterung führt wahrscheinlich auch zu einer Vergrößerung der Illusionen derjenigen, die eine „kontinentale oder vielleicht kontinentalische Betrachtungsweise der Welt haben, die annehmen, dass Europa, falls es größer und kompakter ist, eine größere Chance haben wird, der Hegemonie der USA und den großen Ambitionen Asiens widerzustehen. Diese Einstellung ist ein fataler Irrtum. Es gibt keinen kontinentalen Streit. Auch die oft diskutierte Konkurrenzfähigkeit Europas ist nur ein statistischer Artefakt, da einzig und allein die Konkurrenzfähigkeit einer Firma existiert. Der Kontinent ist kein Wirtschaftssubjekt, produziert nichts, handelt nicht, innoviert nichts, investiert nicht, spart nicht, rationalisiert keine Produktion, senkt keine Kosten.

Welche Effekte der Erweiterung können wir mittel- und langfristig erwarten?  Einerseits handelt es sich um die bekannten, wenn auch quantitativ überschätzten Effekte des größeren Raumes (economies of scale), auf der anderen Seite um Konvergenz-Effekte.  Das dritte Problem ist mit der Qualität, den Kosten und der Demokratie der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU verbunden.

Zu dem ersten Thema möchte ich sagen, dass die Liberalisierungsphase der europäischen Integration leider schon längst – mindestens seit der Einleitung ihrer Zentralisierungsära durch Jacques Delors – der Vergangenheit angehört. Die Effekte des größeren Raumes wurden schon verkonsumiert. Die zentralisierenden, vereinigenden, harmonisierenden und standardisierenden Maßnahmen wirken gegen diese positiven Effekte.

Die wirtschaftliche Konvergenz verläuft nur sehr langsam und ihr Ergebnis wird von vielen, manchmal widersprüchlichen Faktoren beeinflusst.  Bis heute wurde noch nie überzeugend nachgewiesen, dass die nominale Konvergenz als solche zu einer realen Konvergenz beiträgt (mindestens in einem historisch relevanten Zeitraum). Die nominale Vereinigung von Italien, Deutschland, der Sowjetunion, Jugoslawien aber auch der Tschechoslowakei führte – ohne die Unterstützung von großen Finanztransfers – nie zu einer wirklichen Konvergenz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.  Das wußten die Bürger in den neuen EU-Ländern leider nicht und es kann bei ihnen zu großen Enttäuschungen führen – die dadurch verstärkt werden, dass die heutigen neuen Mitgliedsländer eine niedrigere finanzielle Förderung erhalten werden als die in der Vergangenheit beigetretenen Länder. Das kann die Anti-Integrationslaune ausrufen. Eine weitere Ost- und Süd- EU Erweiterung wird dieses Problem verstärken, nicht vermindern.

Wegen der Erweiterung kommt es zu einer Erhöhung der Transaktionskosten für das Funktionieren der EU, da zum heute existierenden   Mechanismus - ohne jede weitere Änderung - 10 neue Teilnehmer kommen.  Das Volumen der Politiken, der Aktivitäten und der Interventionen in der EU sinkt nicht (ganz im Gegenteil:  durch die Annahme der Verfassung würde es radikal ansteigen) und das hat – bei Erhöhung der Anzahl teilnehmender Subjekte – Kosten zur Folge. Einige diese Kosten sind „tangible“ (es wird mehr Geld kosten), aber andere und wichtigere sind „nontangible“ (sie sind in der Qualität und in der Demokratie der Entscheidungen versteckt). Zwischen diesen 3 Variablen – die Anzahl der Mitgliedsländer, das Volumen der EU-Politiken und den Mechanismus der Entscheidungsprozesse – herrscht keine positive Komplementarität, nur ein trade-off, etwas für etwas. Die Erhöhung einer Variablen (Anzahl der Länder), bei einer unveränderlichen zweiten Variablen (EU-Aktivitäten), hat notwendigerweise Auswirkungen auf die dritte Variable (Entscheidungsmechanismus). Dies gilt für jedes zentralisierte und hierarchisch organisierte System. Es ist eine Gesetzmäßigkeit, die nicht umgangen werden kann.

In der menschlichen Gesellschaft kommt es zu spontanen Anpassungsprozessen. Auch in der EU wird es so sein. Die Institution wird mehr kosten, mehrere Beamte werden gebraucht. Das wird sichtbar sein.  Etwas wird aber nicht so sichtbar sein. Die Entscheidungsprozesse und die Transaktionskosten werden sich durch die Stärkung des demokratischen Defizits der EU, durch die Senkung des Ausmaßes von demokratischen Prozeduren zu Gunsten der hierarchischen Prozeduren, durch die Erhöhung der Rolle des engeren Kerns der Union, durch die Erhöhung der Anzahl der Bereiche, in denen innerhalb der EU eine Mehrheitsabstimmung erfolgt, durch das Ansteigen der Anonymität der Entscheidungen, durch weitere Vergrößerung der Entfernung des Bürgers vom EU-Zentrum, durch weitere Entpersonifizierung der EU, etc., ändern. Diese Nebeneffekte, die ich zu den Kosten zählen muss, sind keinesfalls günstig.

Damit kommen wir zu der Frage der künftigen Bedeutung der Staaten (oder Nationalstaaten) in der EU.  Es ist ganz evident, dass für etwas der Staat – in seiner normalen europäischen Dimension – zu groß ist.  Deswegen brauchen wir (und haben wir) Gemeinden und Regionen. Für etwas ist aber der Staat zu klein, was der Grund für die Entstehung verschiedenen staatsübergreifender Institutionen ist.  Heute sind wir in Europa bestimmt viele, die denken, dass auf der EU-Ebene unnötigerweise zu viel entschieden wird und die gehofft haben, dass die Vorbereitungen des Verfassungsvertrages viele Dinge dorthin zurückbringen werden, wo sie gehören.  Das bedeutet nach unten, was leider nicht passierte.

Welche „public goods“ zu welcher Entscheidungsebene gehören, ist und bleibt ein ewiger Streit.  Eine Sache ist aber klar:  für die Demokratie ist der Staat genau entsprechend.  Bund, Verband oder Union der Gemeinden, Kreisen oder Bezirken ist zu wenig. Staatenübergreifende Strukturen sind im Gegenteil für die Demokratie zu groß.  Das Begreifen dieser Sache sollte Grundbaustein und Hauptkriterium bei der Weiteraufbau der europäischen Integration sein.  Man kann nicht umgekehrt gehen. Man kann nicht übermäßig unifizieren (und zentralisieren) und nur dann, nachträglich, das Grundsätzliche – die Demokratie - suchen.

Ein halbes Jahrhundert dauernde Bewegung nach oben, die einseitige Verschiebung der Kompetenzen von den Staaten zu staatsübergreifenden Organen, ist Bestandteil einer breiteren Bewegung vom Privaten zum Öffentlichen, vom Individuellen zum Kollektiven, vom Vertrauen in die Entscheidung eines freien Individuums zum Vertrauen in die Entscheidung der Institutionen, ist Bestandteil der grundsätzlichen Verschiebung unserer Zeit. Einige von uns sind der Meinung, dass es sich um einen großen Fehler handelt.  Wir sagen es jedoch nicht deshalb, weil wir gegen die europäische  Integration wären.  Wir sagen es, weil wir davon überzeugt sind, dass die menschliche Gesellschaft (und deshalb auch Europa) durch den Markt und durch andere ähnliche, spontan entstehende menschliche Aktivitäten vereinigt wird. Die menschliche Gesellschaft wird durch keine „gemeinsamen Politiken“ – wie gemeinsame Agrar-, gemeinsame Industrie-, gemeinsame Wettbewerbs-, gemeinsame Außenpolitik usw. vereinigt. Diese Politiken – im Gegenteil – trennen Europa.

Václav Klaus, „Grenzen und Grenzüberschreitungen“, Forum  Alpbach, 29. August 2004

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