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Europa braucht keine beschleunigte Integration

Deutsche Seiten, 23. 12. 2003


Der tschechische Präsident Klaus diagnostiziert in der EU mangelnden Reformwillen.„Klaus, der neue Burgherr“ titelte die Tageszeitung „Mlada Fronta Dnes“ am 19. Dezember und ernannte „Vaclav II.“ zum „Mann des Jahres“. In der Tat belegen Umfragen, dass Präsident Vaclav Klaus in Tschechien weit populärer ist als sein Vorgänger Havel. Dazu trägt auch sein von vielen Tschechen geteilter Euroskeptizismus bei. Mit Klaus sprach der NZZ-Korrespondent für Ostmitteleuropa, Ulrich Schmid.

Die Tschechische Republik hat seit der „Samtenen Revolution“ 1989 enorme Fortschritte gemacht, wirtschaftliche wie politische. Im Mai tritt das Land der EU bei. Erwarten Sie von diesem Beitritt Impulse für das Land, oder glauben Sie, die wichtigsten Schritte seien bereits getan?

Das Entscheidende ist schon geschehen. Der Beitritt ist nur noch eine Formalität. Auch die strukturelle Anpassung Tschechiens an die EU ist schon mehr oder weniger vollzogen.

Sind Sie der Ansicht, dass die Gelder, die Tschechien in den nächsten Jahren aus dem EU- Budget erhält, sinnvoll eingesetzt werden können?

Prag hat auf das Geld der EU keinen Anspruch. Die Unterstützung kommt nur, wenn Projekte bestehen, mit denen Brüssel einverstanden ist, und deshalb ist es nicht sicher, dass wir alles, was wir bekommen könnten, auch erhalten. Zudem muss ich leider sagen, dass das Geld nicht nach meinen Prioritäten eingesetzt werden wird. Wohin es geht, wird ganz stark vom Lobbying der Institutionen und Munizipalitäten in Brüssel abhängen. Wahrscheinlich werden sich dort Partikularinteressen durchsetzen, nicht aber eine vernünftige, rationale Organisation. Ich kann nicht einmal sagen, dass das Geld Brüssels für die Tschechische Republik bestimmt ist: Es kommt einzelnen Gruppen zugute.

Die Entscheidung der Regierung in Prag, sich während des Feldzugs gegen Saddam Hussein mit den USA zu solidarisieren, hat in Berlin und Paris Empörung ausgelöst. Anderseits ist Tschechien damit Teil des „Neuen Europa“ Rumsfelds geworden. Hat das Lob aus Amerika Tschechien Deutschland und Frankreich entfremdet?

Nein. Wir haben nur unsere Politik gemacht. Wir haben unsere nationalen Interessen verteidigt, und wenn wir das tun, können wir nicht von allen Seiten Applaus erwarten. Wir haben ganz klar unsere Solidarität mit Bush gezeigt, aber wir haben den Feldzug nicht zu hundert Prozent unterstützt. Und entsprechend ist auch niemand hundertprozentig mit uns zufrieden. Wir haben uns gegenüber Amerika loyal verhalten, aber Subordination hat es nicht gegeben. Wir bewegen uns in einem Korridor, wir sind keine Seiltänzer. Ich muss immer in der Lage sein, ein paar Schritte nach links oder rechts zu gehen.

Ersatzaktivität und Eskapismus

Eine Zeitlang sah es so aus, als ob Tschechien die Haltung Polens im EU-Verfassungsstreit teilen wollte. Nun hat Prag klar gemacht, dass man mit der Mehrheit gehen will, und die Position Warschaus ist von etlichen tschechischen Politikern kritisiert worden. Warum dieser Wechsel?

Ich bin nicht der Meinung, dass es ein Wechsel war. Die Debatte über Varianten von qualifizierten Mehrheiten ist wichtig, aber sekundär. Am wichtigsten ist doch die Frage, ob wir die europäische Verfassung brauchen, wie sie aussieht und wohin sie uns führt. Dazu habe ich eine klare Haltung, und ich bin froh, dass die Brüsseler Konferenz die Verfassung nicht angenommen hat. Die Details der polnischen Position sind unwichtig. Was ich indessen unterstütze, ist die Bereitschaft der Polen, ihre Interessen so stark zu verteidigen. Diese Haltung hat meinen Beifall.

Braucht die EU überhaupt eine Verfassung?

Bestimmt nicht. Die Europäische Verfassung ist nur eine Methode: eine Methode, mit der einige Politiker die Beschleunigung des Integrationsprozesses durchsetzen möchten. Ich bin ganz klar gegen eine solche Beschleunigung.

Viele Europäer halten nicht die Integration für die dringendste Aufgabe Europas, sondern die Durchführung tiefgreifender Strukturreformen. Nun scheint aber Brüssel nicht gerade eine Inspirationsquelle für fiskalische Disziplin und Austerität zu sein, sondern ein ziemlich träges bürokratisches System, das Steuergelder einzieht und nach nicht immer einsehbaren Kriterien wieder verteilt.

Nicht nur das. Das Brüsseler Integrationsfieber ist eine typische Ersatzaktivität, eine Form von Eskapismus. Nach Integration rufen vor allem diejenigen, die die notwendigen Strukturreformen nicht durchführen wollen.

Die Schweiz ist ein Land mit beschränkter Sympathie für die EU, wie mehrere Abstimmungen gezeigt haben.

Das wissen wir Tschechen. Und wir können Ihnen sagen, dass dies im Grunde in allen Ländern Europas der Fall ist. Die Schweizer sind da nur einfach aufrichtiger.

Kosmetik statt Reformen

In der Vergangenheit hat es in Tschechien nicht selten Reibungen zwischen dem Präsidenten und dem Regierungschef gegeben. Ich erinnere an Ihre Auseinandersetzungen als Regierungschef mit dem früheren Präsidenten Havel. Wie ist Ihr Verhältnis zu Ministerpräsident Spidla? Unterstützen Sie seine Reformen?

Ich sehe keine Reformen. Was Spidla macht, ist Kosmetik; das Wort „Reformen“ kann ich mit Spidla nicht zusammenbringen. Aber wir haben, wie ich finde, absolut korrekte Beziehungen. Die Konflikte sind ganz anders als die Probleme, die ich früher mit Vaclav Havel hatte. Der Unterschied ist der, dass sowohl ich als auch Spidla nach politischen Standardlösungen suchen. Wir beide sind Standardpolitiker. Havel hat diese Konflikte ganz anders ausgetragen; in seinem Schema war es nicht möglich, normale Beziehungen zu unterhalten.

Umfragen zeigen, dass Sie bei den Tschechen weit populärer sind als Havel. Warum?

Ich reise viel, ich spreche mit den Leuten über ihre Sorgen. Das war schon immer mein Rezept, das habe ich nicht geändert.

Sagen Ihnen die Namen Viktor Lippert und Maria Knapp etwas?

Nein.

Viktor Lippert und Maria Knapp waren vor dem Zweiten Weltkrieg die Besitzer der Villa, in der Sie jetzt wohnen.

Ich lebe noch nicht in dieser Villa. Ich lebe in meiner Privatwohnung.

Sie sind ein vehementer Befürworter der Privatisierung. Gleichzeitig haben Sie sich oft und deutlich gegen die Restitution - die Rückgabe von Besitz an Enteignete - ausgesprochen. Sehen Sie darin keinen Widerspruch?

Nein. Wir wollten den Kommunismus demontieren, Staatseigentum privatisieren. Die Restitutionsfrage ist etwas anderes. Die Auswirkungen von Vergangenem zu ändern, ist fast unmöglich. Man weiss kaum, wo man beginnen soll: im vierzehnten Jahrhundert, im siebzehnten, im achtzehnten? Viele Leute möchten die Reformen, die Masaryk in den Jahren 1918 bis 1920 durchführte, rückgängig machen. Andere wollen ändern, was der Zweite Weltkrieg bewirkte, wieder andere das, was die Kommunisten einführten. Das ist schwierig. Wir haben breitere und tiefere Restitutionsgesetze eingeführt als viele andere Länder, aber natürlich ist das keine Restitution für alle, für alle Zeitabschnitte und in allen Bereichen. Wir leben im Kontinuum der Geschichte. Ich kann zum Beispiel nicht sicher sein, dass im achtzehnten, neunzehnten, zwanzigsten Jahrhundert immer nur Leute in diesem Raum in der Prager Burg sassen, die wir als positive Gestalten betrachten.

Die Visegrad-Staaten (die Tschechische Republik, Polen, die Slowakei und Ungarn) haben den Übergang vom Totalitarismus zur Zivilgesellschaft und zur parlamentarischen Demokratie allen sporadisch auftauchenden Problemen zum Trotz hervorragend gemeistert. In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, in der Ukraine, in Weissrussland, in Russland, tut man sich mit der Demokratie sehr viel schwerer. Warum?

Das liegt in der Geographie begründet. Wir sind im Herzen Europas, ebenso sehr wie die Schweiz. Das hat sich stets bemerkbar gemacht. Auch in den schwierigsten kommunistischen Zeiten war für jemanden aus der Sowjetunion ein Besuch in Prag eine Reise nach dem Westen. Prag lag für diese Menschen irgendwo in der Mitte zwischen Moskau und New York. Zudem haben wir „nur“ vierzig Jahre Kommunismus gehabt; vor dem Krieg blühte bei uns bereits ein Kapitalismus. Nein, diese Differenz ist für mich keine Überraschung. Im Gegenteil: Ich finde es unglaublich überraschend, wie gut und elegant die Transformation in Russland gelungen ist. Es hätte dort auch ganz anders kommen können.

Neue Zürcher Zeitung,  23. Dezember 2003

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