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Deutsche Seiten, 10. 5. 2009
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin wirklich sehr froh, dass ich wieder einmal in Freiburg, in dieser wunderschönen Stadt, bin. Zuerst möchte ich mich für die hohe Auszeichnung bedanken, die ich von Ihrer Stiftung bekommen habe. Insbesondere schätze ich, dass Ihre Auszeichnung mit dem Namen von Friedrich von Hayek verbunden ist, der übrigens gerade vorgestern seinen 110. Geburtstag feiern würde. Hayek war ohne Zweifel einer meinen wichtigsten Lehrern, auch wenn es für mich mit ihm nur ein indirektes Fernstudium war.
Meine Generation, die einen großen Teil ihres Lebens im Kommunismus verbrachte, hat Hayek schon in den sechziger Jahren entdeckt. Diese Zeit war die Ära der evidenten Lockerung der gesellschaftlichen Atmosphäre, die in unserem Lande zuerst zu einer originellen Wirtschaftsreform und dann zu den dramatischen politischen Ereignissen des Jahres 1968 geführt hat. Schon damals war Hayek meine Inspiration und als Beitrag zu den damaligen, relativ freien und weitgehenden Debatten habe ich sogar die fundamentale, und für die Ökonomen entscheidende Kontroverse über die Realisierbarkeit von Sozialismus, die in den dreißiger Jahren zwischen „Österreichern“ Mises und Hayek und „Sozialisten“ Lange und Lerner erfolgte, in die tschechische Sprache übersetzt. In dieser Zeit haben wir auch sein weltbekanntes Buch Der Weg zur Knechtschaft[1] gelesen, das in verschiedenen nicht-offiziellen Versionen in der Tschechoslowakei veröffentlicht wurde. Damals war das für uns „das Buch“ unserer Zeit.
Friedrich von Hayek habe ich nur einmal in meinem Leben gesehen und dazu noch unter fast absurden Umständen. Im August 1968, im Moment der Einmarschierung der Warschauer Pakt Truppen in die angeblich kontrarevolutionäre Tschechoslowakei, habe ich als junger Akademiker an dem bekannten, noch heute existierenden Forum im malerischen österreichischen Dorf Alpbach teilgenommen. Zwei Tage nach dem 21. August hat dort Hayek eine Rede gehalten. Ich bin ins Auditorium gekommen, habe ihn gesehen, aber leider konnte denn Sinn seiner Wörter nicht wahrnehmen. In diesen Stunden und Tagen hatte ich in meinem Kopf ganz andere Gedanken als die Details seiner theoretischen Überlegungen über die „Verfassung der Freiheit“. Der Verlust der Freiheit in meiner Heimat war für mich viel wichtiger als die komplizierte Theorie der legislativen Vorbedingungen der Freiheit, obwohl es klar ist, dass diese zwei Sachen vieles gemeinsam haben.
Nach dieser Episode hatten wir weitere 20 Jahre der Gesellschaftsordnung, die sehr weit von den hayekschen Ideen entfernt war. Am Ende dieser Etappe, ein Tag vor der Studentendemonstration in Prag im November 1989, die unsere Samtrevolution startete, war ich an der Johannes Kepler Universität in Linz. Wieder in Österreich. Während der Nachmittagsdebatte mit den dortigen Professoren der Volkswirtschaftslehre habe ich auch nach Hayek gefragt. Die Antwort war für mich mehr als enttäuschend: „In Österreich ist Hayek tot.“ Am Abend, und das war wirklich 24 Stunden vor der Prager Studentendemonstration, an der auch mein Sohn teilgenommen hat, habe ich in einer Podiumsdebatte mit ein paar hundert Studenten der Universität souverän gesagt: „Wenn Hayek in Österreich tot ist, werden wir ihn in Prag beleben.“ Selbstverständlich wusste ich nicht, was am nächsten Tag passieren wird und wie bald meine Prophezeiung verwirklicht wird.
Die radikale Transformation unserer Gesellschaft und Wirtschaft in den folgenden Jahren war „hayeksch“ (oder vielleicht sagt man hayekian?). Mit der Hilfe von seinen Ideen wussten wir, dass nicht nur das normale Funktionieren der Gesellschaft und Wirtschaft, sondern auch die Transformation solcher komplexen Systeme von oben nicht organisierbar ist. Schon in dieser Zeit habe ich argumentiert, dass die gesellschaftliche Transformation eine komplizierte Mischung von Spontaneität und Konstruktivismus ist und sein muss, und dass diese Phase der Entwicklung mehr die Gesetze der hayekschen Evolution als die Träume der neuentstandenen Konstruktivisten folgen muss. Die Basis dieses weitreichenden gesellschaftlichen Prozesses war bei uns die Befreiung der Märkte, die Liberalisierung, Deregulierung, Desubsidierung und Entstaatlichung der Wirtschaft. Das war Hayek, in reiner Form.
Wir sind in Freiburg und es ist mir gut bekannt, dass diese Stadt nicht nur mit Hayek, sondern auch mit Walter Eucken und anderen Ordoliberalen verbunden ist.[2] In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich sagen, dass wir in unserem Lande parallel zur Deregulierung auch die Regeln und Institutionen der Marktwirtschaft so schnell wie möglich eingeführt haben. Wir wussten, dass die institutionelle Seite der Transformation für Demokratie und Marktwirtschaft notwendig ist.
Die damalige, aber auch noch heute sehr politisierte Debatte, ob die Institutionen ex ante oder ex post eingeführt werden müssen, war und ist für mich eine scholastische Debatte in der Kategorie: Was war zuerst da? Huhn oder Ei? In einer Diktatur könnte man so etwas von oben dirigieren. In der Realität der freien und pluralistischen Gesellschaft müssen Hühner und Eier gleichzeitig entstehen. Man kann nicht die „empty boxes“ (leere Kasten) der Institutionen im Voraus konstruieren. Wahrscheinlich war das in dem Sonderfall der deutschen Transformation, im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands, möglich. Da waren die Institutionen zur Verfügung.
Dieses Problem habe ich vor ein paar Jahren in einer Rede an der Technischen Universität Dresden ausführlicher angesprochen. Unter dem Titel Komparative Analyse der Transformation im Multavialand und Albisland[3] habe ich die Unterschiede und Ähnlichkeiten der Transformation in diesen zwei „hypothetischen“, aber nicht weit von der Realität entfernten Ländern diskutiert. Zum Glück hatten die Tschechen nicht den Luxus der Existenz eines älteren Bruders und mussten deshalb hayekscher sein als die Deutschen. Wir hatten keine Alternative.
Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum Thema „Hayek und die heutige Krise“ machen. Es hat mindestens zwei Aspekte. Auf einer Seite haben wir die hayeksche Theorie der Wirtschaftszyklen, auf der anderen die hayekschen Überlegungen über die Beziehungen Staat-Markt.
In seinen früheren, strikt ökonomischen Werken, insbesondere in seiner Geldtheorie und Konjunkturtheorie (1929)[4] und in Preise und Produktion (1931)[5], die namentlich zitiert waren, als ihm im Jahre 1974 der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen wurde, hat Hayek eine ganz klare These akzentuiert: Die Ursache des Wirtschaftszyklus ist falsche Geld- und Kreditpolitik, die so genannte „easy money“ Politik (Politik des billigen Geldes). Die künstliche Senkung des Zinssatzes generiert einen Investitionsboom und die Lösung seiner Nachfolgen braucht eine schmerzhafte Restrukturalisierung der ganzen Wirtschaft. Alle existierende Firmen und Banken braucht die Wirtschaft nicht. Die Manipulierung der Fiskalpolitik kann die notwendige Restrukturalisierung nicht ersetzen. Ein Zitat aus der 2. Ausgabe seines Prices and Production aus dem Jahre 1935, wo er unter anderem diskutierte, warum die USA am Ende der zwanziger Jahre in eine tiefe Rezession geraten sind, ist ganz klar: „Den Autoritäten ist es gelungen, mit Hilfe von Politik des billigen Geldes, die Konjunktur um zwei Jahre zu verlängern. Wenn es schließlich zu der Krise kam, waren fast zwei Jahren andauernden Bestrebungen untergenommen, den normalen Liquidationsprozess in jeder denkbaren Weise zu verhindern.“[6]
Das sind ganz verständliche Sätze, die gegen die heutigen Maßnahmen der Fiskalpolitik warnen, die in vielen Ländern eingeführt wurden. Noch gefährlicher ist, dass die gegenwärtigen Versuche viel größer sind, als diejenige, die die Regierungen in den dreißiger Jahren gemacht haben. Die Politik des billigen Geldes wurde von Hayek als „Pseudomedizin“ bezeichnet. Im Grunde des damaligen und auch heutigen Problems sind falsche Relativpreise, nicht die Absenz der Gesamtnachfrage.
Im Mittelpunkt des Problems der Relativpreise ist vor allem ein Preis: der Zinssatz. Die heutige Weltwirtschaftskrise ist am meisten die Folge des politischen Spielens mit den Zinssätzen. Der Wirtschaftszyklus wurde auch heute durch mikroökonomische Folgen der falschen Kredit- und Geldpolitik in Gang gesetzt. Nicht einmal sogar von geschworenen Keynesianern wurde jetzt die Absenz der Gesamtnachfrage als Ursache der heutigen Krise erwähnt. Sie wurde nicht durch Geldmangel, sondern durch Geldüberschuss hervorgerufen.
Gefährliche gesellschaftliche Turbulenzen, und die heutige Krise kann dazu führen, haben ungeplante Nebeneffekte. Sie führen immer zu einer radikalen Verschiebung an der Achse Staat–Markt, Diktat der Aufgeklärten–Freiheit. Es ist evident, dass gerade das auch jetzt droht, bzw. dass es schon eingetroffen ist. Und hier muss wieder Hayek zur Hilfe kommen, der uns vor 65 Jahren in seinem populären Buch Der Weg zur Knechschaft, aber auch in einer Reihe von Fachtexten, insbesondere im The Use of Knowledge in Society (1945)[7], ganz klar gesagt hat, wohin der richtige Weg führt. Dieser Weg ist Freiheit, Markt, spontane Evolution, nicht Rekordverschuldung der Länder, wöchentliche Wochenende-Gipfeltreffen der führenden Politiker, global governance und mehr Regulation. Ganz umgekehrt.
Aber das wäre schon eine Vorlesung über Hayek und dass ist nicht das Ziel des heutigen Treffens. Erlauben Sie mir, Ihnen für die Verleihung des Internationalen Preises Ihrer Stiftung noch einmal zu danken. Es ist für mich eine weitere Motivation, die Gedanken von Hayek zu verteidigen und weiter zu verbreiten.
Václav Klaus, Danksagung anlässlich der Verleihung des Internationalen Preises der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, Kaisersaal, Historisches Kaufhaus, Freiburg, 10. Mai 2009.
[1] F. A. Hayek, München, 1944.
[2] Ich habe in der Vergangenheit zwei Vorträge auf Einladung des Walter-Eucken Instituts in Freiburg im Breisgau gehalten:
- „Walter Eucken und der Systemwandel in Mitteleuropa“ (7. Juli 1995), herausgegeben in „Tschechische Transformation und europäische Integration: Gemeinsamkeiten von Visionen und Strategie“, Václav Klaus, Neue Presse Verlags-GmbH, Passau, 1995.
- „Karl-Schiller-Vorlesung: Europa 10 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus - von Prag aus gesehen“ (31. August 2000),
[3] Rede bei der Verleihung des Ehrendoktorates der Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität Dresden, 23. Februar 2007;
[4] F. A. Hayek, Holder-Pichler-Tempsky, Wien, 1929.
[5] F. A. Hayek, Julius Springer, Wien, 1931.
[6] F. A. Hayek, Prices and Production, Routledge & Kegan Paul, 2nd edition, London, 1935, S. 162.
[7] F. A. Hayek, American Economic Review, XXXV, No. 4; September, 1945, pp. 519-30.
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