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Bemerkungen zur Zukunft Europas

Deutsche Seiten, 23. 10. 2008

Ich danke Ihnen für diese ganz besondere Einladung. Ich schätze sie wirklich sehr. Erst jetzt, an diesem Ort, bei diesem Treffen von deutschen Landesministerpräsidenten, kann ich – hoffe ich – die Idee des deutschen Bundesstaates und des deutschen Föderalismus richtig begreifen. 

Wenn ich das Konzept dieses Treffens korrekt verstehe, sollte das Kamingespräch nicht über politische Aktualitäten, über die heutige Finanzkrise, über Folgen der letzten Wahlen in Bayern oder besonders der vor ein paar Tagen abgehaltenen Kreiswahlen in Tschechien sein. Dieses Treffen ist – glaube ich – eine außerordentliche Gelegenheit zum mehr generellen und mehr langfristigen Nachdenken. 

Ich möchte Sie mit meinen Ansichten zur globalen Erwärmung nicht ärgern, und deshalb werde ich heute „nur“ über Europa sprechen, über seine Gegenwart und seine Zukunft. Für jeden von Ihnen habe ich aber als Geschenk die deutsche Ausgabe meines Buches „Blauer Planet in grünen Fesseln“ gebracht, weil ich dieses Thema für sehr wichtig halte. Dieses Buch zu lesen ist eine pflichtige Hausaufgabe.

Wenn ich mir erlaube über das Thema Europa hier zu sprechen, ist es von mir kein Versuch um eine Futurologie. Es wird auch keine, heute so populäre Flucht in die Zukunft und kein Träumen über die Zukunft sein. Ich werde mich bemühen, über die heutigen Tendenzen, die ich in Europa sehe, nachzudenken. 

Die Frage, die ich mir seit langer Zeit stelle, ist: Wohin gehen wir und, eventuell, wohin sollten wir gehen? Ich habe Angst, dass es wahrscheinlicher ist, dass wir stehen bleiben werden. 

Der weltbekannte tschechische Schriftsteller und Dramatiker Milan Kundera sagt am Ende seines Theaterstückes „Jacob der Fatalist“ folgendes: „Vorwärts, aber wohin ist vorwärts?“. Das Resultat ist, dass der Held des Stückes gelähmt stehen bleibt. Ähnlich sehe ich das heutige Europa. Um vorwärts zu gehen, müssten wir erst – auch wenn es etwas paradox erscheinen kann – ein bisschen rückwärts gehen. Rückwärts zu den Wurzeln, auf denen die europäischen Ländern ihre Erfolge, einschließlich ihrer Prosperität, aufgebaut haben. Diese Wurzeln sehe ich in Freiheit, die aber heute in Europa mehr und mehr zu Knappheit wird. Diese Hypothese ist meine Hauptthese oder meine Hauptbotschaft für heutigen Nachmittag.

Was sieht man heute in Europa?

Auf der einen Seite sehe ich eine verdächtige ideologische Ruhe, die seit dem Fall des Kommunismus in Europa herrscht. Das ist aber nur eine Fiktion, ein Erscheinen, ein Anschein. Während die Europäer vom Ende der Geschichte gesprochen haben, ist es schleichend zu einer wichtigen Verschiebung gekommen. Die Richtung der Verschiebung an der Achse Bürger vs. Staat und an der Achse Markt vs. zentralistische Regulierung und Reglementierung der Menschen war ganz anders als wir in den damaligen kommunistischen Ländern in dem glücklichen Moment des Falles des Kommunismus geplant hatten. Wir wollten näher an Bürger und an Markt und weiter vom Staat und seiner Regulierung sein als wir heute sind. Es ist leider nicht so. Die Situation innerhalb der einzelnen Staaten stellt den Bürger gegenüber dem Staat immer mehr in eine untergeordnete Position und die wachsende Rolle von internationalen Organisationen vergrößert den Abstand zwischen dem Bürger und dem Politiker auf früher ungeahnte Weise. 

Das ist nicht alles. Obwohl Europa nie eine politische Entität war, sehe ich einen starken Druck, die Einigung des Kontinents in eine supranationale Gesamtheit herbeizuführen, was im Widerspruch zur historischen Erfahrung steht. Ich höre auch leere und unproduktive Phrasen des abstrakten Universalismus und Humanrightismus, und das Pharisäertum der politischen Korrektheit. 

Das ist meine kurze, ohne Zweifel vereinfachte, Beschreibung der Situation. Und jetzt zu der Zukunft.

1) Was wird in Europa mit dem politischen System geschehen?

Meine Sorge ist, ob die heute so unterschätzte und geschädigte parlamentarische Demokratie, die auf ideologisch definierten politischen Parteien basieren muss, weiter existieren wird? Ob sie unter dem Druck der sensationshungrigen, online funktionierenden Medien, für die die Substanz und der Kontext nicht wichtig sind, überleben wird? Ob sie die wachsende Bedeutung der verschiedenen NGOs überstehen wird, die sich bemühen, Demokratie in NGOismus, das heißt in Postdemokratie, umzuwandeln? Ich finde, leider, nicht genug Argumenten für die positive Antwort.

2) Was wird in Europa mit dem wirtschaftlichen System geschehen? 

Werden wir auch in der Zukunft die Marktwirtschaft haben? Oder werden wir das von Schumpeter vorausgesehene Ende des Kapitalismus erleben, wenn der Entrepreneur verschwindet und der, die EU-Mittel verteilende, Beamte dominieren wird? Wird die Wirtschaft in Europa die Anspruchbarkeit des heutigen, im Prinzip post-bismarckschen Sozialsystems überleben? Auch in dieser Hinsicht bin ich mir nicht sicher. Trotz aller Bemühungen und braver Rhetorik schiebt sich dieses System immer mehr in Richtung Immunisierung der Qualität des Lebens der Menschen von ihrer faktischen persönlichen Leistung. 

Was werden die Folgen der Unwilligkeit der Europäer sein, manche weniger angenehme oder weniger inspirative Professionen auszuüben, die trotzdem ausgeübt werden müssen? Diese kann man leider nicht einfach irgendwohin outsourcen. Die Verachtung verschiedener blue-collar-Jobs hat auch zu einer falschen Struktur des Erziehungssystems und zu einer sehr kontroversiellen Verlängerung der Studiumslänge geführt. Dazu kommt ein steigender Zustrom der Arbeitskräfte und Immigranten von fremden zivilisatorischen und kulturellen Kreisen, was die Kohärenz der Gesellschaft grundsätzlich stört, auch wenn es uns die Ideologen des Multikulturalismus ganz anders zu erklären versuchen. 

Und dazu kommt die neueste und größte Gefahr: wird die Wirtschaft den heutigen massiven Angriff des Environmentalismus (Ökologismus) überstehen?

Ich bin heute leider kein Optimist.

3) Und letztlich, was wird mit der Demokratie geschehen, die nur auf der Ebene von Nationalstaaten funktioniert, wenn diese Staaten heute in Europa unterdrückt und geschwächt werden?

Ich bin gegen Bemühungen, die versuchen, ein „ever-closer“ Europa zu schaffen, die uns in Richtung eines „Europas der Regionen“ verschieben und die aus der nationalen Souveränität ein sekundäres Merkmal des heutigen Europas machen. Kontinentale Demokratie ist nicht möglich. Zur Demokratie braucht man Demos und das kann man in Europa, auf der Ebene des ganzen Kontinents, nicht finden. 

                          *   *   *

Die passive Extrapolation der heutigen Tendenzen sieht nicht gut aus. Eine Veränderung ist notwendig. Wir brauchen eine Samtrevolution. Wer aber solche Revolution machen wird und wohin sie uns führen wird, weiß ich nicht. Stehen zu bleiben ist aber unmöglich und wird noch unmöglicher sein.

Václav Klaus, Rede zum Kamingespräch, Ministerpräsidentenkonferenz der deutschen Länder, Zwinger, Dresden, 23. Oktober 2008

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