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Die zerstörerische Spaltung der AfD

Deutsche Seiten, 17. 6. 2015

Am Montag den 18. Mai schickte der Sprecher der Alternative für Deutschland, Bernd Lucke, den „lieben Mitgliedern und Förderern der AfD“ einen offenen Brief. Mitunterzeichner sind Hans-Olaf Henkel und Joachim Starbatty. Solche Entwicklung habe ich längst befürchtet. Eine junge, nicht fest strukturierte Partei, noch mehr Bewegung als eine Partei, spaltet sich.

Hier in Prag haben wir damit unsere Erfahrungen. Kurz nach der Wende verlief ein ähnlicher Kampf in der bürgerlichen Bewegung „Obcanske Forum“ ab. Auch dort kämpften zwei Strömungen miteinander. Auf der einen Seite standen diejenigen, die eine klar definierte politische Partei mit klarem Profil wollten und auf der anderen diejenigen, die von einer allumfassenden Bewegung träumten, die aber keine klare Position mit sich bringen würde.

Es ist nichts Neues. Es begleitet das Wesen der politischen Parteien seit deren Entstehung im 19. Jahrhundert. Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Hasek, Autor des weltberühmten Soldaten Schwejk, machte sich bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts darüber lustig, indem er die „Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen der Gesetze“ gründete. In dem Brief von 18. Mai sehe ich etwas Ähnliches: Vorsichtigkeit. Alle Andersdenkenden werden dort als Radikale, Sektierer und Fundamentaloppositionelle, die angeblich die „Machtübernahme“ innerhalb der Partei anstreben, abgestempelt sein.

Ich habe – und nicht nur ich – große Hoffnungen mit dem Erfolg der AfD verknüpft. Wir alle wissen, dass eine erfolgreiche Korrektur des undemokratischen alleuropäischen Superstaates, zu dem sich die EU entwickelte, nur aus einem der großen Ländern der EU kommen kann. Am besten aus Deutschland, dem Hauptautor der jetzigen Version der europäischen Integration. Es ist auch klar, dass der Impuls zur Wende von einer neuen politischen Gruppierung kommen muss, der man nicht so leicht den Stempel des billigen Populismus aufdrücken kann.

Das ist der Gruppe der Herren Professoren um Bernd Lucke toll gelungen. Sie errangen sogar einige Sessel im Europaparlament. Mit diesem Erfolg begann aber auch das Problem. Durch ihren Umzug nach Brüssel begann sich einige führenden Politiker der AfD von ihren Wählern und Parteifreunden zu entfernen.

Wir Tschechen verstehen das sehr gut von unseren Erfahrungen. Auch wir hatten hier Leute, die zwar rechts sein wollten, ohne als „rechte“ zu erscheinen. Sie wollten von der Seitenlinie kritisieren können, ohne radikale Vorschläge zu formulieren. Sie wollten im Scheinwerferlicht stehen, fürchten jedoch gleichzeitig das Schicksal von Leuten wie Thilo Sarrazin, den das deutsche Establishment erbarmungslos aus seiner Mitte exkulpiert hatte. Sie wollten in der Politik mitmischen, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Sie haben begriffen, dass sie zu Vollzeitpolitikern werden müssen, haben dazu aber keine Lust.

Wenn Bernd Lucke in seinem Brief von einer gefährlichen „Machtübernahme“ in der Partei spricht, deutet er damit an, dass es in der AfD Menschen gibt, die diese Partei in eine andere Richtung bewegen wollen und dass sie ihm somit die Partei entwenden wollen. Auch das ähnelt stark der Entwicklung in Tschechien der 90er Jahre. Auch Vaclav Havel hatte das Gefühl, dass wir ihm das Bürgerforum entwendet hätten. Niemand hat ihm aber was weggenommen. Die Menschen nahmen das Bürger Forum ernst und somit passierte es, dass gewöhnliche Menschen in diese Organisation eingetreten sind. Das passte nicht ins Konzept unserer damaligen elitären Dissidenten.

Wenn ich in diesem Brief finde, dass AfD eine Partei sein soll, die „sachlich, konstruktiv, nicht nur konservativ, sondern auch liberal und sozial“ sein soll, dann muss es eine Partei sein, die alles und gleichzeitig nichts repräsentiert. Zum Schluss seines Briefes schreibt Lucke, dass die AfD eine „unideologische, sachlich und konstruktiv arbeitende Volkspartei für die Mitte der Gesellschaft“ sein soll.

Mein Kommentar dazu ist scharf:

- eine unideologische politische Partei sein zu wollen, ist eine Absurdität, ein Widerspruch in sich, ein contradictio in adjecto;

- „sachlich und konstruktiv zu arbeiten“ klingt zwar schön, deutet aber an, man möchte sich auf die „Arbeit“ innerhalb des bestehenden Systems konzentrieren. In Deutschland scheint es – von außen gesehen – immer noch unmöglich, nicht systemkonform zu sein;

- eine „Volkspartei“ zu sein, ist auch etwas anderes, als eine Bürgerpartei;

- welchen Sinn es hat, eine politische Partei auf die „Mitte der Gesellschaft“ auszurichten?  In der Mitte gibt es nichts. Die Mitte der Gesellschaft ist nur ein abstrakter Begriff. Dort befindet sich kein Mensch, kein potenzieller Wähler.

Aber vielleicht ist alles anders. Vielleicht wird die Partei weiter die Situation lösen. Vielleicht ist es kein Ende, sondern eine Chance zum Neubeginn.

Vaclav Klaus, Die Welt, 16. Juni 2015.

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