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Interview des Präsidenten der Tschechischen Republik für die Tiroler Tageszeitung

Deutsche Seiten, 15. 9. 2012

Sie haben den europäischen Rettungsschirm kritisiert, dem das deutsche Verfassungsgericht diese Woche grünes Licht gegeben hat. Was ist daran falsch?

VK: Ich bin grundsätzlich gegen jede Zentralisierung Europas. Jeder Schritt, der in diese Richtung geht, ist für mich inakzeptabel. Deshalb war die Entscheidung der deutschen Verfassungsrichter für mich eine Enttäuschung.

Der Rettungsschirm soll Griechenland helfen. Welche Alternative schlagen Sie vor?

Es ist absolut falsch, dass es sich um einen Rettungsschirm für Griechenland handelt. Es ist ein Rettungsschirm für die Utopie der Eurozone. Die Griechen sind die Opfer der gemeinsamen Währung. Sie sind nicht diejenigen, die Probleme in die Eurozone gebracht haben. Verschiedene Länder können sicher eine gemeinsame Währung haben, aber nicht diese 17 Länder.

Was würden Sie denn anders machen?

 Länder wie Griechenland müssen die Eurozone verlassen. Das ist für sie die einzige Möglichkeit. Der Rettungsschirm hingegen macht die Zukunft für diese Länder schwierig oder fast unmöglich.

Aber der Zug fährt in Richtung mehr Europa. EU-Kommissionspräsident José Barroso hat diese Woche sogar eine europäische Föderation vorgeschlagen ...

Barrosos Rede ist für mich fast unglaublich. Ich bin zu hundert Prozent gegen eine Föderation. Mir ist schon die Europäische Union zu viel. Die Europäische Gemeinschaft war noch akzeptabel, vernünftig, vorteilhaft und gesund. Aber die Idee, die in Maastricht vor zwanzig Jahren entstanden ist (u.a. eine Währungsunion, Anm.), war falsch. Das war eine Sackgasse. Diese Sackgasse noch ein bisschen zu verlängern, wird die Zukunft noch problematischer machen.

Warum halten Sie die EU für eine Sackgasse?

Einen Teil der Antwort bildet schon die Realität. Alle Menschen, die offene Augen haben, können sehen, dass die EU eine Sackgasse ist. Nur die politischen Eliten in Brüssel und in den Mitgliedstaaten wollen das nicht sehen.
Auch die Theorie ist klar: Die Heterogenität der heutigen EU und besonders der Währungsunion ist so groß, dass es nicht möglich ist, mit nur einer Währung, einem Wechselkurs, einem Zinssatz und einer Währungspolitik zu leben. Man kann Länder wie Griechenland und Deutschland nicht zusammenspannen. Man kann nicht aus Teilen eines Fiat Seicento und eines Alfa Romeo eine Maschine zusammenbauen.

Sie haben auch Europas Demokratiedefizit kritisiert ...

Das ist eine andere Dimension. Die eine Dimension ist die wirtschaftliche Irrationalität, die Bedrohung unseres Wohlstands. Die andere ist die politische Irrationalität, die Bedrohung unserer Freiheit.

Sollten aber die europäischen Bürger in Zukunft einmal einen EU-Präsidenten direkt wählen dürfen, wäre das dann für Sie akzeptabel?

Wir haben in Tschechien gerade die Direktwahl des Staatspräsidenten eingeführt (Klaus selbst wurde noch vom Parlament gewählt, Anm.). Jetzt beginnen die Leute die falsche Richtung dieser Änderung zu verstehen. Diese Irrationalität auch noch in Europa einführen zu wollen, ist für mich fast unglaublich.
Auch in einer authentischen Demokratie – in einem Staat – hat die Direktwahl positive und negative Aspekte und ich sehe mehr negative. Aber in Europa gibt es kein Demos, kein Volk, und das Nicht-Volk kann keine direkten Wahlen haben.

Wie wäre denn Ihr Modell für das Europa der Zukunft?

In einer Sackgasse kommt man nicht weiter, sondern muss zur letzten Kreuzung zurückgehen und das ist für mich der Vertrag von Maastricht. Das sehe ich aber nicht als realistisch an. Es bleiben also verschiedene kleinere Änderungen – beispielsweise die Frage, wie viele Länder eine optimale Währungszone bilden.

Der Grund für Ihren Besuch in Tirol ist das Hayek Colloquium. Der österreichische Ökonom Friedrich August Hayek war ein Vordenker des freien Marktes. Kritiker sehen genau darin den Grund für die aktuelle Krise ...

Meine Position ist genau umgekehrt. Nicht der Markt hat die Krise verursacht, sondern die Staatsintervention. Hayek hat absolut Recht. Ich bin nicht sicher, ob Hayek explizit über die europäische Integration gesprochen hat, aber implizit hat er permanent darüber gesprochen. Er hat permanent über die Freiheit gesprochen und die Europäische Union in der heutigen Form ist bestimmt eine Bremse der Freiheit.

Demnach führt für Sie der Weg aus der Krise über weniger staatliche Eingriffe ...

Wir brauchen eine Wende wie 1989 in Mittel- und Osteuropa, eine radikale Transformation des europäischen Sozial- und Wirtschaftsmodells. Das kann man nicht auf Gipfeltreffen von EU-Politikern am Wochenende erledigen, sondern das braucht eine Wende des Denkens und des Benehmens der Europäer. Das ist ein Lauf auf lange Distanz.

Ist Europa mit seinen Sozialstaaten und der sozialen Marktwirtschaft zu sozial?

Ja. Sozial heißt sozialdemokratisch oder sozialistisch und das geht leider nicht. Das verstehen Leute wie Barroso leider absolut nicht.

Kritiker können es als herzlos betrachten, wenn man die Menschen den Kräften des Marktes überlässt ...

Der Markt ist sozialer als alle möglichen Formen der Staatsintervention und das ist eine Antwort im Sinne von Hayek. Der Markt ist per Definition sozial. Asozial sind verschiedene konstruktivistische Methoden von Regierungen.

Wie würde der Markt sozial Schwächere unterstützen?

Ich habe nichts gegen eine rationale, vernünftige Sozialpolitik. Aber das ist etwas anderes als die heutige europäische soziale Marktwirtschaft. Das Wort sozial ist bestimmt notwendig, aber nicht vor dem Markt, sondern danach. Zuerst brauchen wir einen Markt.

Auch Amerika steht derzeit vor Weichenstellungen. Im Wahlkampf berufen sich die Republikaner auf Hayek. Halten Sie ihnen die Daumen gegen Präsident Obama?

Ich habe freundliche Beziehungen zu Präsident Oba­ma, aber ideologisch steht er auf der anderen Seite. Wir haben bisher nur über Europa gesprochen. Aber wir könnten auch über den Westen insgesamt sprechen. Sie haben nach meinen Vorstellungen für die Zukunft gefragt, ich kann das jetzt deutlicher machen: Wir müssen dem Westen den Westen zurückgeben. Das ist für mich der letzte Satz.

Floo Weißmann, Tiroler Tageszeitung, 15 September, 2012

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